Wiedersehen in Barsaloi
müssen. Sogar die sonst so zurückhaltende Stefania möchte einmal hindurchschauen. Von den Kindern ganz zu schweigen. Sicher sind das die aufregendsten Geschenke, die sie heute bekommen haben!
Als sich alle beruhigt und wieder im Haus versammelt haben, packe ich als Letztes den Radio-Recorder aus, um die von meiner Schweizer Familie besprochene Kassette abzuspielen. Plötzlich wird es ganz still im Raum und alle lauschen den Worten meiner Mutter, ihres Mannes Hanspeter und meiner Geschwister. Bei den lauten Worten meines Bruders müssen alle lachen. Lketinga erkennt die Stimme sofort und nickt, während er mit seiner kratzigen Stimme fröhlich sagt: »Yes, I remember Jelly and Eric, really, I remember.« Nach einer kurzen Pause hört er zum ersten Mal seine Tochter Napirai sprechen. Voller Spannung sitzt er kerzengerade auf seinem Stuhl und lauscht mit bewegungslosem Gesicht ihren Worten. Als zum Schluss Schweizer Handorgelmusik ertönt, schaut er mich an und sagt: »Okay, it’s okay! I remember all and I wait for my child.«
James ist begeistert und bedankt sich freudig, obwohl er bemerkt, dass das Gerät mit acht Batterien zu betreiben ist, was hier in Kenia sehr teuer wird. Nachdenklich stellt er fest, dass nicht einmal die Schule ein so tolles Gerät besitzt. Das CD-Fach muss ich ihm erst erklären, denn so etwas hat er noch nie gesehen. Mama kehrt wieder zu ihrer Manyatta zurück. Die anderen begutachten ihre Geschenke. Die Uhren und Ferngläser werden verglichen und die verschiedenen Stoffe befühlt.
Leider stehen noch einige Kinder da, für die ich keine Kleidchen dabei hatte, weil ich einfach nicht wusste, dass sie auch hier im Kral leben und zum Teil von James miternährt werden. Sie erledigen Arbeiten im Haus und bekommen dafür Kost und Logis, damit sie tagsüber die Schule besuchen können. Offensichtlich schicken Eltern, die weit weg leben, ihre Kinder zu Verwandten ins Dorf, damit der Schulbesuch überhaupt möglich wird. Mir bricht es das Herz, dass ich ihnen außer ein paar Süßigkeiten nichts in die Hände drücken kann. Zu Hause liegen so viele Sachen herum, aus denen Napirai herausgewachsen ist. Hier wäre jedes Kind überglücklich darüber, selbst wenn das jeweilige Kleidungsstück zu klein oder zu groß wäre. Lketinga beruhigt mich und meint, ich solle mir keine Gedanken machen, für die Kinder sei das vollkommen in Ordnung.
In etwa zwei Stunden werden die Tiere nach Hause kommen. Vorher möchte ich mich in unserem Camp noch bei Tageslicht und der wärmenden Sonne endlich etwas waschen. Lketinga organisiert sofort ein Plastikwaschbecken, indem er ein kleines Mädchen in eine nahe gelegene Manyatta schickt. Es ist schön zu beobachten, wie alle sich gegenseitig aushelfen. Mir ist das auch wieder in Mamas Hütte aufgefallen. Als wir bei ihr gemeinsam Chai tranken, hatte sie natürlich keine sechs Tassen. So schickte auch sie ein kleines Mädchen zu den Nachbarn, um sich welche auszuborgen.
Genau für solche Handreichungen ist es üblich, dass bei der Großmutter immer ein kleines Mädchen lebt. Traditionell wird meistens das erstgeborene Mädchen ihrer jeweiligen Kinder von ihr groß gezogen. Zur Zeit hilft ihr Shankayon viel, wenn sie von der Schule zurück ist. Seit ihre Mutter vor ein paar Monaten weggegangen ist, lebt sie bei ihrer Großmutter. Lketinga kann nicht sagen, wann und ob seine Frau zurückkommt. Sie sei aufgrund der vielen Fehlgeburten immer noch krank. Natürlich hat das kleine Mädchen auch ihren Vater hier. Doch ich beobachte, dass Lketinga sich nicht so viel mit seiner Tochter beschäftigt wie James es tut. Ich kann mich erinnern, dass er bei seiner ersten Tochter Napirai wesentlich aufmerksamer war, obwohl sie damals noch ein Kleinkind war. Mit Babys haben nämlich Väter normalerweise relativ wenig zu tun. Auch James hat sein letztgeborenes Kind vor uns nicht einmal begrüßt oder herumgetragen, im Gegensatz zu Little Albert und Saruni.
Das Mädchen kommt nach kurzer Zeit mit einem Waschbecken zurück und Lketinga reinigt es mit etwas Wasser, bevor er es mir überreicht. Wieder bin ich gerührt, wie fürsorglich er mich behandelt. Ich bedanke mich bei ihm und mache mich auf den Weg.
Im Camp ist alles ruhig und so fülle ich das Becken mit Wasser und suche eine Stelle, an der ich mich waschen kann, möglichst ohne gesehen zu werden. Minuten später fühle ich mich sauber und in frischen Kleidern wie neu geboren. Gerade will ich mich wieder auf den Weg zum Kral
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