Wiedersehen in Barsaloi
Pater Giuliani in Funkkontakt zu treten, und wir nehmen uns vor, es gleich morgen zu versuchen. Da wir in zwei Tagen am Filmset »zur weißen Massai« angemeldet sind, könnten wir danach Giuliani besuchen und später noch einmal hierher nach Barsaloi kommen, um ein Abschiedsfest zu feiern. Es ist auch sinnvoll, dass wir die Familie vorübergehend verlassen, damit jeder wieder etwas zur Ruhe kommen kann. Seit unserem Erscheinen ist ihr Leben doch ziemlich durcheinander geraten. Auch James hat zu verstehen gegeben, dass er ab und zu in seine Schule fahren muss.
Während wir alles besprechen, huschen vier Frauen in Schwesterntracht an uns vorbei in Richtung Mission. Kurz darauf erscheint der neue kolumbianische Pater und setzt sich zu uns. Er erkundigt sich nach unserem Wohlbefinden und wie unser Aufenthalt bisher verlaufen ist. Es interessiert ihn sehr, wie sich Lketinga mir gegenüber verhält, und er ist erfreut zu hören, dass wir keine Schwierigkeiten haben und sehr gut aufgenommen wurden. Er berichtet, dass er mit James einige Projekte auf den Weg gebracht hat. Zum Beispiel ist James der Vermittler und Finanzverwalter für eine Frauengruppe, die traditionellen Schmuck herstellt, der bis nach Nairobi verkauft wird. Da die Frauen pro Stück bezahlt werden, haben sich einige bereits bescheidene Holzhäuser errichten lassen können. Diese Information beeindruckt mich, weil damit vor allem den Frauen geholfen wird.
Der Pater erzählt, dass er seit fünf Jahren hier in Barsaloi ist und dass kurz vor seiner Ankunft die blutigen Kämpfe mit den Turkana stattfanden. Wir erfahren auch etwas über die Mission in der Zeit nach meiner Flucht. Direkt nach Pater Giulianis Wegzug im Jahre 1991 kamen andere Missionare. Einer von ihnen starb an der Malaria Tropica. Mehr als ein Jahr hatte man in Nairobi vergeblich versucht, sein Leben zu retten. Bei dieser Erzählung friert es mich plötzlich, da ich an meine eigene schreckliche Malariazeit erinnert werde. Mehr als einmal wäre ich daran fast gestorben. Besonders dramatisch war mein Zustand zwei Monate vor Napirais Geburt. Pater Giuliani konnte damals das Schlimmste verhindern, indem er über Funk die Flying Doctors alarmierte, die mich buchstäblich im letzten Moment ins Hospital nach Wamba brachten. Ja, soeben ist mir wieder deutlich bewusst geworden, wie knapp ich damals dem Tod entgangen bin.
Auf unsere interessierten Nachfragen hin, ob er Genaueres über den Turkana-Überfall wisse, beginnt der Pater zu erzählen, was er darüber gehört hat:
»Es traf alle unvorbereitet, obwohl schon seit Monaten immer wieder ein paar kleinere Überfälle auf einzelne Personen stattgefunden hatten und es dabei auch Tote gab. Kleinere Zwischenfälle waren zwischen dem benachbarten Stamm der Turkana und den Samburu in dieser Gegend nicht besonders ungewöhnlich. Doch was Anfang Dezember 1996 passierte, überraschte alle: Der Tag begann ganz normal. Die Krieger und die Kinder verließen am Morgen mit ihren Herden das Dorf wie jeden Tag. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich Gerüchte, dass in der Nacht davor an verschiedenen Orten Wegelagerer am Straßenrand bei offenem Feuer genächtigt hätten. Niemand wusste jedoch Genaueres. Gegen Mittag überfielen plötzlich etwa 600 mit Gewehren bewaffnete Turkana das gesamte Gebiet um Barsaloi. Sie kamen von den Bergen und trieben von allen Seiten Tiere und Menschen in das Flusstal hinein, Richtung Turkanagebiet. Wer sich wehrte, ob Kinder, Frauen oder Krieger mit Speeren, wurde einfach erschossen. Als man hier im Dorf die ersten Gewehrschüsse hörte, wusste noch niemand, was vor sich ging, bis die Ersten angelaufen kamen und berichten konnten. Nach kurzer Beratung entschied man, dass alle so schnell wie möglich flüchten sollten. Es gab nur noch eine Richtung, die einigermaßen frei war. Die Samburu konnten nichts ausrichten und mussten tatenlos mit ansehen, wie ihnen das gesamte Vieh weggetrieben wurde. Es waren über 20.000 Ziegen und einige Tausend Kühe. Die Menschen flohen, es ging nur noch ums nackte Überleben. Niemand konnte sich damals erklären, warum die Turkana auf einmal so haushoch überlegen bewaffnet waren. Der Raubzug wirkte wie ein organisiertes Verbrechen.
Die vier Priester, die damals hier waren, wollten die Mission nicht verlassen und den Menschen in der Kirche Schutz bieten. Auch sie wurden angegriffen und die Tochter einer Angestellten wurde umgebracht. Ein Priester erlitt einen Beindurchschuss und ein anderer eine
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