Wiedersehen in Barsaloi
Fest.
Heute jedoch ist die Familie mit ihrem Kral im Dorf integriert, das Essen wird in einem geschlossenen Haus gereicht und getanzt wird anscheinend auch nicht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es sich um ein Abschiedsessen und nicht um eine Hochzeit, eine Geburt oder etwas anderes Erfreuliches handelt.
Ich kehre zur Manyatta von Mama zurück und setze mich zwischen ihr und ihrer Tochter auf die Erde. Mit ernstem Gesicht schaukelt sie Saruni auf ihrem Schoß. Immer wieder sprechen mich neu hinzukommende Frauen an. Einige fragen, ob ich nun zu meinem Lepayian, meinem Ehemann, zurückkomme, andere interessieren sich natürlich für Napirai. Ich solle sie doch auch hierher bringen und mit ihr zusammen da bleiben, schlagen manche vor. Dass meine Tochter sicherlich keinen Gefallen an diesem Leben hier fände, weil sie viel zu sehr von der Schweizer Kultur geprägt ist, will ich diesen herzlichen Menschen natürlich nicht sagen. Ich erzähle ihnen, dass sie vielleicht das nächste Mal mit mir zu Besuch kommen wird, um ihre afrikanischen Wurzeln zu erkunden.
Die Frauen warten geduldig auf ihr Essen und sind zum größten Teil fröhlich. James erscheint und verteilt wenigstens schon mal etwas Kautabak. Auch ich halte zum Spaß meine Hand hin. Doch als ich mir das bittere Zeug in den Mund schiebe, entsteht helle Aufregung. Mama gibt energisch zu verstehen, ich solle sofort alles ausspucken. Lketingas Schwester spuckt vor mir auf den Boden und fordert mich auf, das Gleiche zu tun. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht, weil fast alle dieses Zeug kauen. James erklärt mir, dass ich Magenprobleme bekommen würde. Auch sei ich noch zu jung, da ausschließlich alte Frauen Tabak kauten. Den Sinn kann ich im Moment nicht so recht verstehen, erfahre aber später zufällig im Spital in Wamba mehr darüber. Ich folge also der Aufforderung und spucke alles auf den Boden. Einige lachen und klatschen in die Hände, andere schauen mich immer noch finster an.
Eine Frau zieht meine Aufmerksamkeit besonders auf sich, da ich sicher bin, sie noch nie gesehen zu haben. Ihr kahl rasierter Kopf glänzt unnatürlich stark in der Sonne. Ihre Augen stehen weit auseinander und zwischen den Augenbrauen haben sich zwei tiefe, senkrechte Stirnfalten eingegraben. Den Mund zieht sie kräuselnd zusammen. Auch sie gibt mir die Hand, als würde sie mich schon lange kennen, und fragt nach Napirai. Dabei funkeln mich ihre Augen fast bösartig an. Etwas Unheimliches geht von der Frau aus. Ihre Aura gefällt mir nicht und deshalb stehe ich auf, um nachzusehen, wie lange es noch dauert, bis endlich die Frauen ihre Teller füllen können. Auf dem Weg zum Haus sehe ich Lketingas junge Frau mit zwei anderen Mädchen hinter Mamas Manyatta. Interessiert schaut sie herüber. Was mag wohl in ihrem Kopf vorgehen?
Lketinga beobachtet angespannt die wartenden Männer in der kürzer werdenden Kolonne. James bittet mich ins Haus, damit auch wir endlich essen können. Doch ich möchte erst zugreifen, wenn auch die anwesenden Frauen ihr Essen bekommen. Einige Männer sehe ich schon zum zweiten Mal anstehen. Etwas irritiert frage ich James, wann denn nun endlich die Mütter und die Kinder an die Reihe kommen. Sie stehen mittlerweile seit mehr als einer Stunde da und schauen herüber. Alle halten Schüsseln oder Teller in der Hand. James antwortet: »Die Frauen kommen an die Reihe, wenn alle Männer satt sind.« Jetzt werde ich fast ärgerlich, weil bald die Ziegen nach Hause kommen und die Frauen dann keine Zeit mehr haben werden. Ich stelle mich neben Lketinga und versuche, bei ihm etwas Mitleid für die Frauen zu erwecken. »Pole, pole – langsam, langsam –, bald sind die Letzten satt«, beruhigt er mich, geht zu seinem älteren Bruder und redet mit ihm.
Sie geben sich wirklich alle ungeheuer viel Mühe, aber ich bin eine Frau und wünsche mir, dass auch die Frauen und Kinder satt werden. Ich schaue in den Essensraum und sehe drei Männer genüsslich um die Töpfe sitzen. Überall liegen abgenagte Knochen auf dem Betonboden. Zu meiner Erleichterung stelle ich fest, dass es noch genug zu essen gibt. Endlich verlässt der letzte männliche Gast die Kammer und Lketinga ruft den Frauen etwas zu. Sofort bewegt sich die farbenfrohe Kolonne auf uns zu. Ohne Hast stellen sie sich in eine Reihe und warten geduldig. Mit ihrem gefüllten Essgeschirr stellen sie sich ums Hühnerhäuschen und beginnen im Stehen mit dem Essen. Zwischendurch werden immer wieder die
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