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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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lag. »Sind das etwa Nieren?«, fragte er misstrauisch. »Kann sein, dass auch Masters mitgegangen ist, um Sir Robert eine Freude zu machen. Und Sie, Captain? Margot sagt, dass Sie nie schießen. Warum nicht?«
    Ich zuckte mit den Schultern und griff nach der Butter. »Es hat mir nie Spaß gemacht. Als Kind hatte ich immer ein bisschen Angst vor Schusswaffen.«
    »Und doch haben Sie sich als einer der Ersten gemeldet.« Der Amerikaner betrachtete mich mit unverhohlener Neugier. »Das ist sehr mutig für einen Jungen, der keine Schusswaffen mag.«
    »Man gewöhnt sich daran.« Ich konzentrierte mich weiter auf mein Frühstück. Eigentlich wollte ich Maclean nicht mögen.
    »Verzeihen Sie, falls ich zu viele Fragen stelle, Captain. Aber jetzt, da ich hier bei Sir Robert bin und von all den jungen Männern höre … Dem jungen Harry Stansbury beispielsweise. Ein schwerer Verlust, wie man sich erzählt. Stimmt es, dass Sie die Ansprache beim Gedenkgottesdienst halten?«
    Es wäre leicht gewesen, ihn in die Schranken zu weisen, mit so kalter Höflichkeit zu antworten, dass das Gespräch beendet gewesen wäre. Doch als ich dem Amerikaner ins Gesicht sah, las ich weder Dreistigkeit noch mangelnde Sensibilität darin, nur aufrichtiges Interesse. Daher nickte ich.
    »Ja. Alle liebten Harry.«
    »Und viele sind seinem Beispiel gefolgt. Warum waren Sie so erpicht darauf, sich freiwillig zu melden, Captain Allen?«
    Weil ich glaubte, Margot zu lieben? Weil Margot einen anderen heiraten wollte? Weil ich dachte, es würde ihr recht geschehen, wenn ich umkam?
    »Pflichtgefühl, nehme ich an. Was für Bücher interessieren Sie denn, Mr Maclean?«
    Gleich darauf kamen Violet Eccleston und Lucy Flinders, wenig später Margot selbst, die eine Botschaft von Lady Stansbury überbrachte.
    »Tom, mein Lieber, Mama sagt, Vater habe Mrs Rolleston für heute Morgen den Wagen versprochen, damit sie einige Besuche erledigen kann. Sie lässt fragen, ob es dir recht wäre, erst nach elf nach Cullingford zu fahren? Das ist natürlich furchtbar ärgerlich, weil Neil, Lucy und ich dich eigentlich nach Tenmouth mitnehmen wollten …«
    Damit wandte sich das Gespräch den Freuden des geplanten Ausflugs zu. Ich aß zu Ende und stahl mich leise davon.
    Der Fußweg ins Dorf Hannesford führte durch den Wald. Ich kannte ihn gut und ging ihn gern. Im Sommer gab es dort Spechte und kleine orangefarbene Schmetterlinge, im Winter Holzrauch und das Knirschen des gefrorenen Schlamms unter meinen Füßen. Es war ein klarer, sehr kalter Morgen, und an der Nordseite von Hannesford Court war der Boden noch hart gefroren. Die Luft fühlte sich frisch auf meiner Haut an, und ich kam mir zwar nicht jung, aber ein bisschen weniger alt vor.
    Erst als das Haus außer Sicht war, änderte sich meine Stimmung. Anfangs sang noch eine Amsel in der Nähe, so dass ich nicht bemerkte, wie still es ansonsten war. Doch dann flog sie weg, und ich spürte das Schweigen des Waldes um mich herum. Ein Jahr zuvor wäre ich noch in Panik geraten. Erst vor wenigen Monaten hatte ich in einem dicht besetzten Restaurant in Frankreich gegessen, als sich plötzlich eine unerklärliche Stille über den Raum legte, so als würden alle Gäste zur selben Zeit den Atem anhalten. Zuerst schauten sich alle um, und dann brach ein fröhlicher französischer Hauptmann das Schweigen, indem er scharf auf den Fingern pfiff. Die Leute hatten gejohlt und gelacht und noch lauter gelärmt als zuvor. Ich aber hatte nicht gelacht. Als der Pfiff ertönte, biss ich die Zähne aufeinander. Meine Knöchel färbten sich weiß, undmeine Hand zitterte so sehr, dass ich den Wein auf dem Tischtuch verschüttete.
    Für mich war das Donnern des Sperrfeuers nie so schlimm gewesen wie die Stille, die darauf folgte. Erst die Stille, dann das Pfeifen. Selbst jetzt noch, selbst in der Stadt konnte man der Stille nicht entkommen. Aber ich hatte gelernt, die Panik zu unterdrücken, hatte gelernt, tief durchzuatmen und nicht auf den Schweiß zu achten, der auf meiner Haut prickelte, nur an den nächsten Augenblick zu denken, den nächsten Atemzug, den nächsten Schritt … Doch ich verließ den Wald an diesem Morgen mit einer gewissen Erleichterung und stieg über den Zauntritt, hinter dem das Dorf lag.
    Mr Uttley, der Pfarrer von Hannesford, war früher ein Altphilologe von Rang gewesen und hatte die Pfründe vor dreißig Jahren übernommen. Seither waren er und seine Frau ein ebenso fester Bestandteil des Dorfes geworden wie das

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