Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
Zeiten nach, und falls dir etwas einfällt, lass es mich wissen, sei so gut.«
Ich blieb noch eine ganze Weile allein dort sitzen und schaute zu, wie das Feuer langsam eines orange glühenden Todes starb. Meine Gedanken waren nicht sonderlich angenehm. Ich hatte seit meinem letzten Aufenthalt in Hannesford so vielBrutalität erlebt, weiß Gott genug, um gegen jedes Grauen immun zu werden. Weshalb sollte es mich so beunruhigen, dass jemand einen alten Mann ins Gesicht geschlagen hatte? Doch Krieg war Krieg. Hannesford war anders. Und der Professor war mein Freund gewesen. Ein anständiger Mensch. Jemand, den ich in den letzten Tagen seines Lebens vernachlässigt hatte.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, hierher zurückzukehren.
E s war ein folgenschweres Unwetter, das mich bei meiner ersten Ankunft begrüßte – drei Zoll Regen in ebenso vielen Stunden, der Fluss war gefährlich angestiegen, hatte die Uferauen überflutet und den dunklen See unter der alten Brücke in einen zornigen, tosenden Kessel verwandelt. Zwei der tiefer gelegenen Farmen standen zum ersten Mal seit Menschengedenken unter Wasser.
Doch danach schien wieder die Sonne. Wie auf königlichen Erlass hin folgte ein strahlender Tag auf den nächsten, und ich erlebte Hannesford von seiner schönsten Seite. Es war die Ruhepause vor dem Sommerball der Stansburys, eine kurze Windstille, in der sich die Familie traditionell aus der Gesellschaft zurückzog und auf dem Land versammelte. Welchen Status die Stansburys genossen, lässt sich daran ermessen, dass ein großer Teil der Gesellschaft ihnen dorthin folgte.
Mir wurde rasch klar, dass ich für vieles dankbar sein konnte. Sir Robert war liebenswürdig, und bald verließ sich seine Frau in rührender Weise auf mich. Ihre Kinder, so extravagant sie auch sein mochten, begegneten mir nie herablassend. Vor allem Margot war in jenen ersten Tagen, bevor die Gäste eintrafen, besonders freundlich, schenkte mir viel Aufmerksamkeit, führte mich über das Anwesen und zeigte mir das Dorf. Sie sorgte dafür, dass alle Leute in der Umgebung mein Gesicht und meinen Namen kannten.
Harry sah ich viel seltener, da seine Freunde bereits eintrudelten. Tagsüber benahm er sich überaus korrekt und war stets charmant, wenn es ihm zufiel, mich bei einer Erledigung zu begleiten oder beim Tee zu plaudern. Ich wusste seine Bemühungen zu schätzen, da er sich sichtlich viel lieber mit den anderen jungen Männern herumgetrieben hätte. Oliver Eastwell,Julian Trevelyan, Freddie Masters – zuerst waren sie nicht mehr als flanellbekleideter Zierrat auf dem Tennisplatz oder Strohhutträger, die mit ihren Rudern wild den See aufrührten. Abends konnte ich von meinem kleinen Zimmer im Dachgeschoss aus hören, wie sie ausgelassen tranken und lachten.
Die übrigen Kinder hinterließen keinen so nachhaltigen Eindruck. Susan Stansbury war schlank, dunkel und zurückhaltend und begegnete mir recht freundlich, aber sie war reservierter als Margot und sehr viel schwerer zu durchschauen. Der junge Bill Stansbury war noch ein Kind und zunächst schüchtern, schien aber nach drei Wochen meine Gegenwart zu akzeptieren, als wäre ich schon immer da gewesen.
Reggie war schwieriger. Er schien als Einziger einen missmutigen Wesenszug zu haben. Ich erkannte schnell, dass er völlig andere Interessen als seine Geschwister hatte und mich alsbald zu den Mitgliedern des Haushalts zählte, denen er lieber aus dem Weg ging. Manchmal gab es Streit hinter verschlossenen Türen, wenn ihn der Jähzorn packte, weil sein Bruder ihn angeblich in irgendeiner Weise gekränkt hatte. Harry blieb dabei immer ruhig und höflich, wenn auch etwas herablassend.
Wären diese stillen Tage so weitergegangen, hätte ich mein erstes Jahr in Hannesford als ungetrübtes Vergnügen empfunden. Doch die Familie war nur selten allein. Gäste zu haben war ein natürlicher Zustand, und mit deren Ankunft veränderte sich alles. Ich war nur Lady Stansburys Gesellschafterin und kaum von Interesse für die Leute, die Hannesford Court besuchten. Wenn Gäste anwesend waren, standen Harry und Margot immer und überall im Mittelpunkt, während ich im Hintergrund verschwand.
Bevor ich nach Hannesford gekommen war, hatte ich mich nie einsam oder irgendwie bedauernswert gefühlt. Meine Mutter war so früh gestorben, dass ich mich nicht an sie erinnerte, und das Leben mit meinem Vater war vom ruhigen Rhythmusvornehmer Armut geprägt. So war ich aufgewachsen, und dieses
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