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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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behandschuhten Hände an den Rädern. Er trug eine elegante Tweedjacke mit Krawatte, und eine Decke auf seinem Schoß verbarg die fehlenden Beine. Doch das war es nicht, was mir zuerst auffiel. Reggies Gesicht war, wie mich Lady Stansbury bereits gewarnt hatte, auf eine groteske, schockierende Weise verformt. Die Explosion hatte vor allem die linke Seite getroffen und fast weggerissen. Was davon übriggeblieben war, war in sich zusammengefallen, und die Haut, die sich darüber gebildet hatte, war fleckig und straff gespannt wie eine Maske. An der Schläfe, wo normalerweise Haare wuchsen, verdeckte eine Schwellung fast das gesamte linke Auge, so dass er mich schräg von der Seite anschauen musste. Es war kaum zu fassen, dass ein menschlicher Körper eine solche Verletzung überlebt haben konnte.
    Doch so schlimm es auch sein mochte, ich hatte Schlimmeres gesehen. Womit ich nicht gerechnet hatte, waren die Haare. Reggie hatte immer üppiges, kastanienbraunes Haar gehabt. Was davon übrig war, schimmerte jetzt silbergrau, als hätte die Explosion seine Jugend mit einem Schlag verwelken lassen.
    »Setz dich, Herrgott noch mal.« Reggie rollte ins Zimmer und deutete auf einen Stuhl am Fenster. »Ich hatte gerüchteweise gehört, dass du durchgekommen bist. Konnte es aber nicht glauben. Es erschien mir unmöglich. Zigarette?«
    Ich nahm eine aus der Dose, die er mir anbot, worauf er leise und trocken auflachte.
    »Ist schon komisch, dass ausgerechnet du das ganze Theaterüberstanden hast. Ehrlich gesagt, ich habe nie geglaubt, dass aus dir ein brauchbarer Soldat wird.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich auch nicht. Ich hatte Glück, das ist alles.«
    Reggie hatte ein Feuerzeug herausgeholt, und als ich den Kopf senkte, begegneten sich unsere Blicke. Es kam mir vor wie eine Prüfung. Ich zündete meine Zigarette an und richtete mich auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Kurz darauf verzog sich sein Mund zu einem Lächeln.
    »Weißt du, Tom, damals habe ich dich für einen ziemlich armseligen Kerl gehalten. Zu friedfertig. Bisschen rückgratlos. Hast dich immer am Rand von Harrys Gruppe herumgetrieben. Dafür muss ich mich wohl entschuldigen. Aber warum um Himmels willen bist du hier?«
    Ich atmete langsam aus. Reggie und ich waren nie sonderlich gut miteinander ausgekommen. »Deine Mutter hat mich geschickt. Sie macht sich Sorgen um dich.«
    »Nein, tut sie nicht. Sie macht sich Sorgen, ich könnte nicht zum Neujahrsball kommen. Sie macht sich Sorgen, weil sie das Gesicht verlieren könnte.« Seine Verachtung klang vernichtend. »Ein Krüppel ist jetzt ein Statussymbol für eine Familie. Alle guten Familien haben einen. Je entstellter, desto besser. Meine Mutter muss den Nachbarn doch zeigen, wie tapfer sie ihre Bürde trägt. Weißt du, Tom …« Er drehte sich zum Rasen. »Sie kann sich nicht einmal überwinden, mich anzusehen.«
    Er schwieg. Als er weitersprach, klang seine Stimme anders als zuvor.
    »Sag mal, was würdest du an meiner Stelle tun? Wenn du ohne Gesicht aus Frankreich zurückgekommen wärst?«
    »Du meinst wegen des Neujahrsballs?«
    Reggie schnaubte. »Zur Hölle mit dem Neujahrsball! Ich meine danach. Den Rest deines Lebens. Was geschieht mit des Königs monströsem Heer an Krüppeln?«
    So bitter die Worte auch klingen mochten, lag doch aufrichtiges Interesse in seiner Stimme. Ich konnte nur den Kopf schütteln.
    »Da fragst du den Falschen. Das könnte ich nicht einmal für mich selbst beantworten.«
    Reggie hatte schon den Mund zu einer scharfen Entgegnung geöffnet, zögerte aber und sah mich überrascht an. Dann lachte er laut.
    »Tom, das glaube ich dir sogar. Du bist ein bisschen ratlos, was? Vermutlich nicht nur du. Man fragt sich, was wir alle getan hätten, wenn es keinen Krieg gegeben hätte. Wären wohl einfach auf unserem Arsch hocken geblieben. Ich sitze hier und verfluche das Schicksal, aber ich will verdammt sein, wenn ich gewusst hätte, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Eine Menge Wild erlegen vermutlich. Und irgendwann heiraten und eine Frau unglücklich machen. Nutzlosigkeit, der Fluch des jüngeren Sohnes.«
    Er lachte wieder trocken. »Natürlich bin ich inzwischen nicht mehr der jüngere Sohn. Das ist ja das Ironische. Nun, da Harry nicht mehr da ist, erbe ich Hannesford. Die schönste Tudor-Treppe des Landes fällt an einen Mann ohne Beine.«
    Er schnaubte erneut und warf die Zigarettenkippe in Richtung einer Topfpflanze.
    »Aber weißt du, was das Paradoxe an der Sache

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