Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
schien nur glücklich, wenn er draußen war und schießen konnte, und selbst das ist jetzt vorbei.«
»Er wird Hannesford erben«, sagte ich. Der Gedanke war immer noch seltsam. Hannesford hatte immer Harry gehört.
»Meinen Sie, das ist ein Trost?« Anne schien nicht überzeugt.
»Vielleicht nicht im Augenblick. Im Augenblick wütet er nur gegen sein Schicksal. Aber ihm ist gleichzeitig auch klar, dass es junge Männer mit ähnlichen Verletzungen gibt, die noch schlimmer dran sind als er.«
Ich hielt inne, um ihr über einen Zauntritt zu helfen, und kurz erleuchtete die untergehende Sonne ihr Gesicht. Wir waren zügig gegangen, und ihre Wangen hatten Farbe bekommen. Mein Blick verweilte einen Moment auf ihr.
»Erinnern Sie sich an Professor Schmidt?« Ich war mir nicht sicher, wie ich das Thema ansprechen sollte.
»Sicher doch«, sagte sie überrascht. »Ich war dabei, als er starb.«
»Können Sie sich erinnern, ob Reggie Streit mit ihm hatte? Der Pfarrer scheint das zu glauben.«
Anne sah nachdenklich aus. »Reggie und der Professor … nicht dass ich wüsste. Warum? Ist das wichtig?«
Hinter ihr flog ein Schwarm Saatkrähen auf. Unten im Dorf leuchteten die ersten Lampen. Dahinter lag die dunkle Flankedes Moors. »Nein. Ich glaube nicht. Kommen Sie, es wird bald dunkel.«
Bei meinem allerersten Besuch in Hannesford Court war Anne Gregory nur eines von vielen unbekannten Gesichtern gewesen. Harry und Margot hatten mich als Erste begrüßt und zu den anderen Gästen geführt; sie hatten den tiefsten Eindruck bei mir hinterlassen. Anne hatte mit einigen Leuten bei den Picknicksachen gesessen, lauter junge Männer und Frauen, die wild durcheinanderredeten. Für mich war alles neu und lebhaft: die weißen Kleider mit den bunten Bändern, die grünen Wiesen, die Felder und Bäume und der rote Mohn, alles bunt durcheinander auf einer Anhöhe, hinter der das Moor träge vor sich hin träumte.
Falls mir an diesem Tag überhaupt etwas an Anne auffiel, war es ihre Ruhe inmitten der fröhlichen Menge. Als Margot und die anderen davongeflattert waren und ich mich selbst vorstellen musste, dachte ich, sie sei schüchtern oder ernst oder beides. Erst später begriff ich, welche Rolle sie in Hannesford Court spielte, bemerkte ihre stille Tüchtigkeit und die Geduld, mit der sie Lady Stansburys Launen begegnete. Meist blieb sie im Hintergrund und scheute davor zurück, Aufmerksamkeit zu erregen. Hannesford war wie eine übervolle Leinwand, auf der bestimmte Gestalten dominierten. Anne gehörte nicht dazu.
Seltsam, doch etwas geschah in jenem Sommer, das mich ziemlich oft an sie denken ließ. Eigentlich war es ein banaler Vorfall. Nach zwei oder drei Regentagen schien wieder die Sonne, und Daisy Flinders brachte es fertig, im Wald auszurutschen und sich den Knöchel zu verletzen. Ich war mit meiner Kamera in der Nähe, weil ich hoffte, dort, wo die Bäume am dichtesten standen, das Spiel von Licht und Schatten einzufangen. Ich wollte nicht gesehen werden. Mein Interesse an Fotografie war noch frisch, und es widerstrebte mirinstinktiv, es den Stansburys preiszugeben. Ich hatte die Fotografie eher zufällig entdeckt, weil ein Bekannter von kaum etwas anderem sprach. Eines Tages begleitete ich ihn aus Höflichkeit in seine Dunkelkammer und schaute im roten Zwielicht fasziniert zu, wie feierliche Rituale vollzogen wurden und das Bild allmählich Gestalt annahm. Kein sehr gutes Bild, dachte ich – ich war mir komischerweise sicher, dass ich es besser gekonnt hätte –, aber dennoch ein Wunder. Ich vermute, dass ich zum ersten Mal eine Art Berufung spürte.
Doch ich wollte sie mit niemandem teilen, weil ich fürchtete, ein Gentleman-Amateur zu werden, der bei Wochenenden auf dem Land die anderen Gäste mit seinem Hobby unterhielt. Meine Mutter mochte Lady Stansbury mein Geheimnis verraten haben, doch ich selbst behandelte es diskret.
Ich stieß zufällig auf die Unglücksstelle, als ich mich am Rand einer bewaldeten Böschung wiederfand, von der sich ein Fußweg bergab schlängelte. Weiter unten lag Daisy unbeholfen am Boden, während ihre Schwester heulte und einer der Everson-Brüder hilflos herumfuchtelte. Ich konnte sehen, wie Anne die Führung übernahm und darauf bestand, dass der junge Everson Buttercup mitnehmen und im Haus Hilfe holen sollte. Nachdem sie die wichtigste Unruhequelle beseitigt hatte, machte sie sich an die Untersuchung. Ich konnte ihre leise, beruhigende Stimme hören, während ich durch den
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