Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
gesellschaftsfähig war, schneite es. Das verrieten mir der Geruch des Punschs, der bis auf die Galerie drang, und ein Blick aus dem Fenster. Dicke, schwere Flocken trieben im Lichtschein, der aus dem Haus fiel, durch den Park und landeten sanft auf dem Rasen und der dunklen Oberfläche des Sees. Es schien, als reichte Schnee – und der Duft des Punschs – an Heiligabend aus, um eine festliche Stimmung zu erzeugen. Man hörte Gelächter und den geselligen Lärm von vielen Menschen, die zum Vergnügen zusammengekommen waren.
    Von diesem Abend ist mir vor allem Margot in Erinnerung geblieben. Sie war die Erste, die mich begrüßte, als ich herunterkam; sie stahl sich von den Finch-Taylors weg, ergriff meinen Arm und führte mich zur Punschschüssel, wobei sieleicht und humorvoll wie immer von ihrem Tag in Tenmouth erzählte.
    »Wie schade, dass du nicht mitkommen konntest, Tom. Aber sag mal, was hattest du für einen Eindruck von Reggie? Er will uns alle nicht sehen …«
    Wir unterhielten uns eine Weile, bis Lucy Flinders lachend und mit glänzenden Augen dazukam, in der Hand ein Glas Punsch.
    »Ist das nicht drollig?«, stieß sie hervor. »Sir Robert hat mir gerade alles darüber erzählt!« Sie deutete auf eine Stelle über unseren Köpfen. »Nicht zu fassen, dass ich es nicht früher entdeckt habe! Stimmt das, Margot? Ist dein Bruder wirklich da hinaufgeklettert?«
    Der Gegenstand, auf den sie zeigte, befand sich hoch an der Wand der Großen Halle, mindestens zwölf Meter über dem Boden. Es war ein ausgestopfter Bärenkopf, der in längst vergangenen Tagen dort aufgehängt worden war und auf ewig die Zähne fletschte. Er gehörte so sehr zu dem hochherrschaftlichen Drumherum, dass man ihn kaum bemerkte. Er fügte sich nahtlos zwischen die Hirschköpfe und Geweihe und antiken Waffen und wäre nicht weiter aufgefallen, hätte er nicht einen Nachttopf wie einen Helm getragen. Die Wirkung war halb komisch, halb grotesk. Nach ihrer Miene zu urteilen, schien Lucy Flinders es vor allem amüsant zu finden.
    »Ja, das stimmt«, bestätigte Margot. »Das war Harrys Werk. Ziemliche Kletterpartie. Und er hatte den Nachttopf dabei die ganze Zeit auf dem Kopf, stimmt’s, Tom?«
    Ich nickte. Es war mein erstes Weihnachtsfest mit den Stansburys gewesen, zu einer Zeit, als die antideutschen Gefühle schon stärker wurden. Julian Trevelyan hatte Harry damit aufgezogen, dass die Stansburys dem preußischen Bären einen solchen Ehrenplatz in ihrem Heim einräumten. Harry hatte die Herausforderung akzeptiert und erklärt, der Bär benötige auch eine angemessene Krone.
    Die Idee wurde begeistert aufgenommen – Harry und seine Freunde waren jung, und der Rotwein floss in Strömen –, doch die Aufgabe war alles andere als leicht. Vom Boden der Halle aus war der Bär nicht zu erreichen. Von der Galerie zog sich ein schmaler Sims an den Wänden entlang, der nicht mehr als eine Handspanne breit war. Es schien gerade eben vorstellbar, dass ein ausreichend kühner und schwindelfreier Mensch auf ihm entlangbalancieren und sich an den Köpfen der ausgestopften Tiere festhalten konnte, aber es war dennoch ein gefährliches Unterfangen. Freddie Masters und Oliver Eastwell waren beide gescheitert und nach wenigen Schritten zurückgekehrt, worauf sie die Aufgabe für unmöglich erklärt hatten. Harry hingegen hatte es geschafft. Wie immer.
    Ich hatte nicht zu der Gruppe gehört, die ihn anfeuerte, hatte aber das Johlen gehört, als er den Nachttopf schließlich an der richtigen Stelle platzierte. Ich kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie man ihn wieder auf die sichere Galerie hievte. Die Atmosphäre war ausgelassen, geradezu wild gewesen: junge Männer, die einander zu sinnlosen Heldentaten anstachelten. Als ein paar Jahre später die Rekrutierungskampagnen begannen, erlebte ich das Gleiche noch einmal.
    Alle hatten damit gerechnet, Sir Robert werde sich über die Eskapade mit dem Nachttopf ärgern, und die Truppe hatte sich früh zurückgezogen, wohl in dem Glauben, dass die Dienstboten Leitern holen und den Stein des Anstoßes bis zum nächsten Morgen entfernen würden. Doch Sir Robert war seinem ältesten Sohn gegenüber immer nachsichtig gewesen und daher eher stolz als zornig angesichts des Streiches. Mit der Zeit wurden Bär und Nachttopf zu einem Wahrzeichen von Hannesford, das Sir Robert seinen Gästen vorführte. »Natürlich müssen wir ihn demnächst herunternehmen. Ganz schöne Kletterei, das kann man nicht bestreiten. Der

Weitere Kostenlose Bücher