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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sie herauskam, gab sie sich größte Mühe, mir aus dem Weg zu gehen, das können Sie mir glauben.«
    In ihrer Stimme schwang ein gewisser Stolz mit, als läge darin der Beweis, wie verkommen ihre Tochter und wie rechtschaffen sie selbst gewesen war. Falls sich Julia in jenem Sommer jemandem anvertraut hatte, dann ganz gewiss nicht ihrer Mutter.
    Nachdem ich White Cottage verlassen hatte, führten mich meine Füße zum Pfarrhaus. Das hatte ich eigentlich nicht vorgehabt, aber man gelangte von Mrs Woodwards Haus über den steilen bewaldeten Hang zur alten Brücke, und dort schlug ich den Weg ein, den Anne und ich am Tag zuvor genommen hatten. Im Wald war es still, vor allem weiter oben, wo das Rauschen des Wassers von den Bäumen gedämpft wurde. Doch die Stille störte mich ausnahmsweise nicht. Ich war zu sehr in Gedanken versunken.
    Was genau verriet mir Mrs Woodwards Geschichte? Zu meiner eigenen Überraschung bezweifelte ich keinen Moment lang, dass sich alles genau so zugetragen hatte. Sie hatte die Ereignisse sehr überzeugend beschrieben: Ihre Tochter kam völlig verstört nach Hause; der Professor klopfte an die Tür; Reggie Stansbury kam nicht länger zu Besuch. Ihre Interpretation hingegen schien mehr als fragwürdig. Ich glaubte nie und nimmer, dass der Professor Julia Woodward wie ein Satyr durch den Wald gejagt hatte. Ich hätte gern mit dem Mädchen gesprochen. Warum wollte sie ihm unbedingt aus demWeg gehen? Vielleicht hatten die Erfahrungen mit ihrer Mutter sie gelehrt, Dinge zu verbergen.
    Und Reggie … Heute Morgen im Sanatorium hatte er abgestritten, regelmäßig in White Cottage gewesen zu sein. War das gelogen? Oder nur ein Missverständnis?
    Als ich mich dem Pfarrhaus näherte, überkam mich plötzlich Abscheu. Der Professor und das Mädchen waren tot; Reggie verstümmelt und entstellt. Was hatten ihre Geheimnisse noch zu bedeuten? Ich konnte verstehen, weshalb Freddie Masters sich für die Geschichte interessierte, die ihm der Sohn des Professors erzählt hatte: Freddie hatte gesehen, wie jemand dem alten Mann ins Gesicht geschlagen hatte, fühlte sich immer noch unbehaglich deswegen und bereute, nicht eingeschritten zu sein. Ich aber hatte das alles nicht mitbekommen. Selbst wenn Reggie im Wald ein Mädchen erschreckt und der Professor ihn dabei überrascht hatte, ging mich das eigentlich nichts an. Ich hatte andere Sorgen. In wenigen Tagen würde ich einen klaren Schnitt machen und nach London zurückkehren. Ich musste über meine Zukunft nachdenken.
    Der Pfarrer und seine Frau waren zu Hause, Anne ebenfalls, und ich verbrachte eine angenehme halbe Stunde mit ihnen. Wie es schien, hatte der Pfarrer in Sachen Kriegerdenkmal nachgegeben. Die öffentliche Meinung im Dorf und der Umgebung war gegen ihn, und obwohl er nach wie vor leidenschaftlich davon überzeugt war, dass man die Toten besser ehren würde, indem man ihren Kindern Bildung ermöglichte, akzeptierte er seine Niederlage.
    »Dennoch sollten wir danach streben, diese jungen Männer in unseren Herzen am Leben zu erhalten und nicht auf irgendwelchen Denkmälern«, beharrte er. »Indem wir ihre Namen in Stein meißeln, beginnen wir sie loszulassen. Es ist so leicht, steinernen Denkmälern die Arbeit zu überlassen.«
    Mrs Uttley wirkte noch hinfällig, aber gut gelaunt undstellte Fragen nach den Stansburys und ihren Gästen, die ich zumeist nicht beantworten konnte. Anne saß still neben ihr, doch als ich aufbrach, brachte sie mich zur Haustür. Ein paar Minuten in der geistreichen und tröstlichen Gesellschaft der Uttleys hatten ausgereicht, um meinen Besuch bei Mrs Woodward absurd und sinnlos erscheinen zu lassen. Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, ihn Anne gegenüber zu erwähnen, doch an der Tür hielt sie mich zurück.
    »Ich habe über das nachgedacht, was Sie mir gestern Abend erzählt haben«, sagte sie leise, meinen Hut und Mantel in der Hand, den sanften Schein der Lampe im Gesicht. Draußen dämmerte der Nachmittag seinem Ende entgegen. »Wegen Freddie Masters und dem Streit auf der Brücke. Es hat mich ins Grübeln gebracht …«
    Sie zögerte.
    »Ja?« Nun war ich unfreiwillig neugierig geworden.
    »Sie wissen sicher, wie das ist, wenn man nicht schlafen kann. Da gehen einem alle möglichen Dinge durch den Kopf. Ich habe mir überlegt, wer den Professor so behandelt haben könnte. Dann fiel mir etwas ein, an das ich schon ewig nicht mehr gedacht habe.«
    Ich hielt inne, einen Arm im Mantel, und wartete darauf, dass

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