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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Woodwards Worten schwangen Zorn und Abscheu mit. »Bedauere, Sir, aber er war hier nicht sonderlich beliebt. Ein Mann seines Alters, der ein junges Mädchen belästigt! Aber wir haben ja bald herausgefunden, wie die Deutschen wirklich sind, nicht wahr?«
    »Belästigen?« Dieses Wort hätte ich niemals mit dem Professor in Verbindung gebracht. »Ganz sicher nicht, Mrs Woodward.«
    »Ich weiß, was ich weiß«, erwiderte sie bissig. »Und ich habe schon ältere Männer als ihn erlebt, die sich wegen eines hübschen Gesichts zum Narren machen.«
    »Na gut.« Ich bemühte mich um einen neutralen Tonfall. »Er hat Ihre Tochter also bewundert?«
    Wieder zuckte sie mit den Schultern.
    »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, Sir, aber seine Aufmerksamkeiten waren hier nicht willkommen. Und obwohl er sich vornehm gab, war er kein Gentleman, wenn er sie so bedrängt hat. Wenn ich meinem Mann davon erzählt hätte, hätte der Professor sich eine blutige Nase geholt, Gentleman hin oder her.«
    Ich brauchte eine Weile, um die wahre Ursache von Mrs Woodwards Groll aus ihr herauszulocken. Nicht dass sie nicht gern erzählt hätte – im Gegenteil, sie schien glücklich, dass sich endlich jemand ihre Beschwerden anhörte. Allerdings war sie derart darauf versessen, den Professor zu beschuldigen und zu verurteilen, dass es mir schwerfiel, die nackten Tatsachen auszusieben. Ich musste mich immer wieder mahnen, dass sie ihren Ehemann und ihre Tochter unter sehr unglücklichen Umständen verloren hatte. Daher konnte ich es ihr kaum verdenken, dass sie die Welt mit solcher Verbitterung betrachtete.
    Wie es schien, war der Professor erst in den letzten Tagen seines Lebens regelmäßig in White Cottage zu Besuch gewesen.
    »Ich weiß nicht, was geschehen ist, Sir«, gestand die Witwe. »Meine Tochter hat sich geweigert, darüber zu sprechen. Jedenfalls kam sie eines Tages in einem furchtbaren Zustand von einem ihrer Spaziergänge zurück. Ging ohne ein Wort in ihr Zimmer und schloss sich ein. Und dann kam er , war ihr praktisch auf den Fersen.«
    »Der Professor?«
    »Ja, Sir. Er wollte meine Julia sehen. Er bestand darauf. Sagte, er mache sich Sorgen um sie. Als ob ihn das irgendetwas angegangen wäre! Und die ganze Zeit über rief sie herunter, sie wolle niemanden sehen. Also sagte ich, er sei nichtwillkommen, und schickte ihn weg.« Sie fügte ein antideutsches Schimpfwort hinzu, das man selbst in den Schützengräben als wenig geschmackvoll betrachtet hätte.
    Doch wie es schien, hatte sich der Professor nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Er hatte in den nachfolgenden Tagen weitere Versuche unternommen, Julia Woodward zu besuchen – laut Mrs Woodward waren es die Tage unmittelbar vor dem Rosenball gewesen.
    »Aber sie wollte ihn nicht sehen. Sie wollte niemanden sehen, weder den Deutschen noch Reginald Stansbury. Die beiden hat sie sogar namentlich erwähnt.«
    »Also haben Sie Reggie auch weggeschickt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das war nicht nötig. Er war vorher ziemlich regelmäßig gekommen. Hatte immer angeklopft und gefragt, ob Julia zu Hause wäre oder ob ich wüsste, wo sie ist. Doch ab dem Tag, an dem sie sich versteckte, kam er nicht mehr vorbei. Ein paar Tage später verließ er Hannesford. Der Krieg mag schrecklich gewesen sein, aber eins muss ich sagen: Als er anfing, wurde es hier bei uns friedlicher.«
    Ich erinnerte mich, dass Reggie Hannesford kurz nach dem Rosenball verlassen hatte. Genau wie ich und viele andere war er in jenem Sommer nach London gegangen, um Offizier zu werden.
    »Und Ihre Tochter, Ma’am? Hat sie jemals erklärt, was sie so erschüttert hatte?«
    Mrs Woodward schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern, und dieses Schulterzucken verriet mir eine ganze Menge. Es schien von anderen Gelegenheiten zu künden, bei denen ihre Tochter in ihr Zimmer geflohen war, so dass der Vorfall nicht weiter ungewöhnlich schien; und auch davon, dass sie mütterliches Mitgefühl nicht gerade im Überfluss genossen hatte. Mutter und Tochter waren zweifellos aus sehr unterschiedlichem Holz geschnitzt. Mrs Woodward wirktemürrisch und unversöhnlich, und Julia … Wie hatte Anne es doch gleich formuliert? Julia war immer ein bisschen labil gewesen.
    »Ehrlich gesagt, Captain, wollte ich gar nicht so genau wissen, was meine Tochter in Hannesford Court gemacht hat. Ich habe sie gewarnt, sie solle sich besser an ihresgleichen halten. Sie blieb damals zwei oder drei Tage in ihrem Zimmer. Und als

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