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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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verlassen. Wir hatten Julia Woodward dort entdeckt, die auf einer der Mauern saß und auf das Panorama unter ihren Füßen blickte. Ich weiß noch, wie friedlich sie wirkte. Sie erzählte, dass sie oft herkäme, und sie sagte es mit einem Lächeln, als gehörte ihr dieses Geheimnis ganz allein.
    Jedenfalls war es ein angenehmer Spaziergang. Der Professor musste ihn auch genossen haben, denn seine Notizen verrieten mir, dass er ihn einige Tage später wiederholt hatte.

    Agapetes galathea – Schachbrettfalter. Alte Kapelle oberhalb der Schlucht des Flusses, südwestlich von Hannesford, 25. Juni 1914. HS, Miss AG. Peinlich.
    Die Initialen deuteten auf Harry Stansbury und Anne Gregory hin, denen der Professor auf seinen Ausflügen durchaus begegnet sein konnte. Aber was hatte er mit »peinlich« gemeint? Vielleicht sollte ich Freddie Masters danach fragen.
    Unterdessen wurde es Zeit fürs Mittagessen. Ich wollte nach unten gehen und sehen, was Anne am Nachmittag vorhatte.

E s war nie einfach, in Hannesford allein zu sein. Am Tag, nachdem wir in den Uferauen gewesen waren, flüchtete ich mich in die Bibliothek. Dort traf ich wie erwartet den Professor, die Schaukästen mit den Schmetterlingen und Motten um sich ausgebreitet wie exotisch bestickte Stoffe. Er war an diesem Tag mit Tom spazieren gegangen – ich hatte gesehen, wie sie gemeinsam aufgebrochen waren und sich entspannt unterhalten hatten. Doch am Abend wirkte der Professor ein wenig nachdenklich, als wäre er in Gedanken woanders als bei seinen Schmetterlingen.
    Er lächelte, als freute er sich, mich zu sehen, und als ich es mir bequem gemacht hatte, begann er mir von den Exemplaren zu erzählen, die er vor sich hatte. Es war nicht ungewöhnlich, dass er so zwanglos sprach, wenn wir allein in der Bibliothek waren. Es klang, als dächte er einfach laut nach. Der Professor war ein Mensch, in dessen Gegenwart man sich einfach wohlfühlte.
    An diesem Abend überraschte er mich jedoch mit einer Frage.
    »Ah, Miss Gregory. Sagen Sie, dieses Geschöpf hier … Er deutete auf ein leuchtend gelbes Exemplar mit kleinen Flecken auf den Flügeln. »Schmetterling oder Motte?«
    Ich sah es mir an. Ein Schmetterling, und zwar ein sehr schöner.
    »Und dieser hier?« Er deutete auf ein Exemplar, das etwa gleich groß war, dessen Farben aber gedämpft, beinahe grau wirkten.
    »Eine Motte«, antwortete ich.
    »Und was, würden Sie sagen, ist der Unterschied zwischen Schmetterlingen und Motten?«
    Da ich mit einer Falle rechnete, murmelte ich, Motten seien nur nachts unterwegs. Der Professor registrierte die Antwort mit einem kleinen Achselzucken.
    »Manche ja, andere nicht. Und manche Schmetterlinge fliegen auch nachts. Aber Sie haben sich gewiss nicht nur an den nächtlichen Gewohnheiten des kleinen Burschen orientiert. Etwas anderes hat Sie zu dieser Entscheidung geführt.«
    »Ja, natürlich. Die Farben.« Ich betrachtete noch einmal die beiden Exemplare. »Schmetterlinge sind leuchtend bunt, Motten eher unscheinbar.«
    Der Professor lächelte. »Dann sehen Sie sich diese an.« Er deutete auf verschiedene Exemplare mit braunen Flügeln. »Die gelten alle als Schmetterlinge, obwohl ihre Farben sehr schlicht sind.«
    Also fragte ich, worauf er hinauswolle, was denn der eigentliche Unterschied sei. Die Frage schien ihm zu gefallen.
    »Wissenschaftlich betrachtet, können wir durchaus Unterschiede feststellen. Allerdings wird in manchen Ländern sprachlich gar nicht zwischen Schmetterlingen und Motten unterschieden. Und in England verlässt man sich auch nicht auf die Wissenschaft. Die Leute beantworten meine Fragen instinktiv, so wie Sie es getan haben. Die Menschen entscheiden nur nach dem Äußeren.«
    Der Professor nahm die Brille ab und rieb sie an seiner Weste sauber.
    »Es ist ein bisschen wie mit der englischen Gesellschaft, nicht wahr, Miss Gregory? Nehmen wir beispielsweise unser Picknick. Dort hat man mich mit Ihrer Miss Woodward bekannt gemacht. Für einen bescheidenen Ausländer sieht sie fast so aus wie die anderen Damen. Sie ist hübsch, hat eine gute Haltung, genügend Bildung, aber auch wiederum nicht zu viel, denn in diesem Land gilt zu viel Bildung als Fauxpas. Sie wird von Miss Stansbury und ihrem Bruder eingeladen, genau wie alle anderen jungen Damen. Und doch ist sie nichtwie sie, oder? Sie ist nicht ganz ein Schmetterling. Und obwohl niemand es erwähnt, sind sich alle dessen bewusst. Diese Feinheiten empfinde ich als faszinierend.«
    »Ich nehme an,

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