Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
vorbeiging und Miss Woodward schluchzen hörte.«
Ich sagte nichts. Vielleicht ahnte ich, was kommen würde.
»Offenbar hat der Arzt mit niemandem darüber gesprochen, aber Miss Thomson versteckte sich oben an der Treppe, als ihr Vater Miss Woodward hinausführte. Er sagte, das Schlimmste sei vorbei und sie solle sich ausruhen und wieder zu Kräften kommen. Und angesichts ihrer Lage werde sie bald erkennen, dass es so am besten sei.«
»Wann war das? Konnte Miss Thomson sich daran erinnern?«
»Sie ist sich nicht sicher. Jedenfalls kurz vor Kriegsausbruch. Mal ehrlich, Tom, die Tochter eines Arztes müsste es doch besser wissen, oder? Aber sie schien sich überhaupt nicht zu schämen, dass sie gehorcht hatte. Und natürlich …« Anne wurde nicht rot. »Natürlich war ziemlich klar, was sie damit andeuten wollte.«
Ich nickte nur. Dem war nichts hinzuzufügen.
Unser Spaziergang führte uns zurück zum Haus, wo Mrs Hodge bereits Ausschau nach Anne hielt und weitere Anweisungen erwartete. Wir verabschiedeten uns mit einem Lächeln und einem Nicken. Ich wäre gern länger mit ihr draußen geblieben.
Danach war ich allein, bis Margot und Lucy Flinders am späten Vormittag der Jagdpartie entflohen und sich vor der Kälte ins Haus retteten. Sie entdeckten mich in der Bibliothek, wo ich noch immer vor den ordentlichen Reihen der Schmetterlinge und Motten saß.
Ich stand höflich auf, als sie hereinkamen, wollte aber eigentlich nicht gestört werden. Ich hatte über Reggie nachgedacht, besser gesagt, die beiden Reggies – den in sich zusammengesunkenen, gebrochenen Invaliden im Sanatoriumvon Cullingford und den jungen Mann, der früher mit einem Gewehr unter dem Arm durch die Wälder von Hannesford gegeistert war. Ich hatte nie einen Verführer junger Mädchen in ihm gesehen, doch so etwas kam vor; es war eine alte Geschichte. Allerdings war mir nicht danach, den anderen Reggie darauf anzusprechen. Letztlich ging mich das alles nichts an.
»Es ist eisig draußen«, verkündete Margot und ließ sich in einen Sessel fallen. »Alle sagen, es werde bald schneien. Also haben Lucy und ich uns überlegt, dass wir lieber Tee trinken möchten. Würde es dich furchtbar langweilen, uns zu unterhalten, Tom?«
»Tut mir leid, aber ich bin wohl nicht sehr unterhaltsam«, entgegnete ich ziemlich förmlich.
Margots Wangen glühten von der kalten Luft. Neben ihr nahm sich Lucy Flinders’ hübsche Jugendlichkeit beinahe fade aus. Dennoch empfand ich Margots Strahlen in diesem Augenblick beinahe als Vorwurf. Es erinnerte mich an eine Zeit, in der ich nur ihre Vollkommenheit gesehen hatte, so dass mir Reggies Leidenschaft und Julia Woodwards Unglück gänzlich entgangen waren.
Auch auf Anne hatte ich nie genug geachtet. Und jetzt würde sie bald nach Kapstadt reisen.
»Dann unterhalten wir eben dich, nicht wahr, Lucy?« Margot ließ sich von einer lauwarmen Begrüßung nie entmutigen. »Wir haben schon nach dem Tee geklingelt und hoffen auf Scones. Mrs Adkins liebt Tom, du wirst schon sehen. Für Tom hat sie immer Scones.« Sie wandte sich wieder mir zu. »Wir haben auf dem Heimweg über dich gesprochen. Lucy wollte mir nicht glauben, als ich von deinen Fotografien erzählt habe.«
Das Mädchen wurde rot. »So habe ich das nicht gesagt, Captain Allen. Ich sagte nur, ich sei überrascht zu hören, dass Sie ein Fotograf sind.«
»Das bin ich nicht«, erwiderte ich knapp. »Das war ich nie. Ich habe ein bisschen dilettiert, das ist alles. Und es ist lange her.«
»Margot sagt, Sie seien sehr gut gewesen.«
»Ich glaube nicht, dass sie das wirklich beurteilen kann. Sie ist viel zu höflich, um zu sagen, was sie wirklich denkt.«
Margot wies den Vorwurf leidenschaftlich zurück, da es sie entsetzte, als höflich zu gelten.
»Heutzutage sagen alle, ich sei viel zu geradeheraus. Außerdem solltest du Lucy wirklich mal fotografieren. Meinst du nicht, sie wäre ein wunderbares Motiv?«
Sie wartete gar nicht erst auf meine Antwort, sondern wechselte fröhlich das Thema. Ich war erleichtert, als mich die beiden endlich allein ließen.
Doch das Gespräch hatte mich nachdenklich gestimmt, und als das Teegeschirr abgeräumt war, stieg ich die schmale Treppe hinauf, über die man in einen Korridor gelangte, in den sich gewöhnlich keine Gäste verirrten. Hier befanden sich das alte Schulzimmer und das sogenannte Musikzimmer, in dem allerdings nie jemand musizierte. Dazu die Unterkünfte einer ganzen Reihe von Gouvernanten. Hier hatte
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