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Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Wiedersehen in Hannesford Court - Roman

Titel: Wiedersehen in Hannesford Court - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Roberts Großonkel, der es versäumt hatte, seine bemerkenswerte Sammlung zu beschriften. Zwischen den ursprünglichen Unterlagen fanden sich die Anmerkungen des Professors. Ich erkannte seine krakelige, ein wenig altmodische Handschrift. Er hatte wie immer auf Englisch geschrieben. Ich denke jetzt auf Englisch , hatte er mir einmal erklärt. Ich lebe seit fast dreißig Jahren hier. Wenn ich jemals nach Deutschland zurückkehre, muss ich lernen, wieder auf Deutsch zu denken. Natürlich wäre er zurückgekehrt, wenn er länger gelebt hätte. Ihm wäre keine andere Wahl geblieben. Irgendwie war ich froh, dass man ihn nie zu dieser Entscheidung gezwungen hatte.
    Letztlich erwies sich mein Morgen als wenig ergiebig: zum einen, weil die Notizen nur das waren, was sie sein sollten – Betrachtungen über die Merkmale verschiedener Lepidoptera –, zum anderen, weil ich nicht mit der Anwesenheit von Violet Eccleston gerechnet hatte. Sie entdeckte mich, kurz nachdem ich mit der Arbeit begonnen hatte, und war begeistert, weil ich einer akademisch anmutenden Tätigkeit nachging. Ich erklärte, Professor Schmidt sei ein Freund von mir gewesen, und ich wolle sichergehen, dass seine Notizen wohlgeordnet waren. Worauf sie sich in einen Sessel setzte und drauflosredete, während ich arbeitete.
    Ihre Gedanken schienen immer noch um Margots Heiratsaussichten zu kreisen.
    »Heutzutage sind Lady Stansburys Töchter natürlich die Ausnahme«, erklärte sie. »Meine Generation befindet sich in einer merkwürdigen Lage. Viele von uns werden niemals heiraten. Man kann ganz offen darüber sprechen. Es ist eine simple Rechenaufgabe.«
    Ich ließ sie weiterreden und hörte nur mit einem Ohr hin, während ich mich auf die Schmetterlinge konzentrierte.
    »Für Margot, die sowohl gut aussieht als auch vermögend ist, stellt sich die Lage natürlich anders dar. Sie ist nicht sonderlich von den Veränderungen betroffen. In der Tat haben Frauen, die über eines dieser Attribute verfügen – entweder ein außergewöhnlich gutes Aussehen oder ein außergewöhnlich großes Vermögen –, alle Aussichten, das Leben zu führen, das sie sich immer vorgestellt haben. Diejenigen hingegen, die beides nicht besitzen …«
    Ich hörte, wie sie leise hüstelte, als müsste sie sich räuspern.
    »Wir Übrigen … müssen wohl akzeptieren, dass alle Dinge, die für meine Mutter der Mittelpunkt ihres Lebens waren – ich meine Ehe, Mutterschaft, die Freude an den Kindern –, dass wir all das nie erleben werden. Ich werde natürlich … Diese Dinge sind nicht …«
    Zu meinem Erstaunen brach ihr die Stimme. Ich hatte nie darüber nachgedacht, welche Gefühle sich hinter ihren trotzig verteidigten Barrikaden verbergen mochten. Violets Fassade praktischer Fröhlichkeit war mir vollkommen unüberwindlich erschienen.
    »Violet …«, setzte ich an und wollte aufstehen, doch sie hielt mich mit einer Handbewegung zurück.
    »Nein, bitte, Captain Allen. Tom. Keine Schmeichelei. Das ist sinnlos. Die Wahrheit ist besser. Ich werde niemals heiraten und habe mich in die Situation gefügt. Genau wie viele andere Frauen.« Sie atmete tief durch. »Natürlich hat es immer eine gewisse Anzahl von Frauen gegeben, die wegen ihrer heiklen gesellschaftlichen Position geringe Aussichten auf eine Ehe hatten – Gouvernanten, Gesellschafterinnen, die vornehmen, aber verarmten Frauen, die man in solche Rollen gezwungen hatte. Ihre Zahl hat jedoch ungeheuer zugenommen, und die Gesellschaft weiß einfach nicht, wie sie damit umgehen soll.« Sie atmete noch einmal tief durch, ihre Stimmeklang jetzt fester. »In primitiven Gesellschaften wäre die Lösung natürlich Polygamie, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das hier auf Zustimmung träfe.«
    Sie hatte ihr Gleichgewicht wiedererlangt, und ich wagte vorzuschlagen, dass Mr Lloyd George einer solchen Politik vielleicht gar nicht so abgeneigt sei. Doch der Witz kam nicht bei ihr an. Anzüglicher Humor war nicht Violet Ecclestons Sache.
    »Unsere einzige Möglichkeit besteht darin, die ganze gesellschaftliche Vorstellung des Frauseins vollkommen neu zu gestalten. Und obwohl dies unter äußerst unglücklichen Umständen geschähe, sind die Möglichkeiten für mein Geschlecht grenzenlos. Mir erscheint es durchaus denkbar, dass es künftig sehr viele Wissenschaftlerinnen, Chirurginnen und sogar Richterinnen geben wird.«
    Ich hörte zu und bewunderte die Stärke und den Mut in ihren Worten. Erst als sie innehielt, wechselte ich das

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