Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
Vom Netzwerk:
schaute ich auf meine Finger und sah, dass sie rot waren. Blut tropfte aus ihrer Nase und den Mundwinkeln, rann über Kinn und Hals. Die ganze Vorderseite ihres T-Shirts war schon voll davon.
    »Scheiße«, sagte ich und zog ihren schlaffen Körper hoch. »Gobi … Was ist denn?«
    Ihr Mund öffnete sich, und sie machte ein schnalzendes Geräusch. Immer noch lief jede Menge Blut aus der Nase und vielleicht auch aus dem Mund. Auf einmal musste ich daran denken, was der bärtige Swierczynski gestern Abend zu uns gesagt hatte.
    Die Kugel ist schon in deinem Kopf.
    Ich versuchte klar zu denken. Das Blut konnte ich mir nicht erklären. Auf dem Markusplatz war sie nicht getroffen worden, außerdem konnte sie ja wohl schlecht mit einer Kugel im Kopf mit mir durch die Gegend laufen.
    Ich nahm ihr Handgelenk und fühlte den Puls. Er ging unregelmäßig, und als ich auf ihre Brust schaute, kam mir der Atem flach und angestrengt vor.
    »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, sagte ich. »Hast du eine Spritze, die ich dir geben kann? Oder etwas anderes?«
    Ihr Blick flackerte stumm und hilflos in meine Richtung.Als sie immer noch nichts sagte, fing ich an, in dem Stoffbeutel herumzuwühlen, den sie seit unserem Abstecher zum Schließfach im Bahnhof von Venedig mit sich herumschleppte. Ich fand unsere falschen Pässe und Ausweise, zwei Flaschen Wasser, einen Seidenschal, eine Sonnenbrille, einen Eurail-Fahrplan plus Karte, ein dickes Bündel Euros, einen Lippenstift und mehrere Patronen. Keine Medizin, keine Nachricht, keine Hinweise.
    Ganz unten ertasteten meine Finger einen Schlüssel, der in einen Saum geschoben war. Es handelte sich um ein ziemlich großes Teil aus Messing, und zuerst dachte ich, es sei der Zimmerschlüssel aus Venedig. Dann sah ich, dass ein völlig anderer Anhänger daran baumelte:
    Hotel Schöneweiß, Zermatt
    Ich ließ den Schlüssel in den Beutel zurückfallen, goss etwas Wasser auf den Schal und wischte ihr das Blut so gut es ging aus dem Gesicht. Dann zog ich den Reißverschluss der Jacke hoch, um das blutbefleckte T-Shirt zu verstecken. Zumindest wusste ich endlich, wohin wir wollten.
    Gobi hatte inzwischen heftig zu zittern angefangen.

25
    »Everybody Daylight«
    – Brightblack Morning Light
    Ich schreckte hoch. Offenbar war ich eingeschlafen. Der Zug wurde langsamer, der Rhythmus seiner Räder veränderte sich, die spürbar abnehmende Geschwindigkeit holte mich aus einem so tiefen Schlaf, dass es mir vorkam, als wachte ich aus einer Narkose oder Hypnose auf. Einmal hatte mich jemand auf einer Party hypnotisiert, damals hatte ich mich hinterher genauso gefühlt, irgendwie unangenehm verschwommen. Ich zähle jetzt von zehn zurück, und wenn ich bei eins bin, wachst du wieder aus deiner Trance auf …
    Ich setzte mich gerade hin. Mein Mund war trocken, und um die Augen ordentlich aufzumachen, brauchte ich wahrscheinlich ein paar Zahnstocher und jede Menge Koffein.
    Wir fuhren in den Bahnhof ein. Die Anzeige vorne am Abteil behauptete, wir seien in Zermatt. Ich blickte mich um, war plötzlich auf der Hut, ob uns jemand beobachtet haben könnte, aber die anderen Passagiere auf dieser Seite des Abteils waren zwei Hippie-Backpacker, deren schlafende Körper unter einer dicken Decke gegeneinander gerutscht waren und im stets langsamer werdenden Rhythmus des Zuges wackelten.
    Neben mir lehnte Gobi blass und reglos an meiner Schulter. In der Nacht hatte sie irgendwann zu zittern aufgehörtund war in einen leichten Schlaf übergewechselt. Ich konnte mich nur dumpf daran erinnern, dass wir umgestiegen waren, dass ich mit ihr mitten in der Nacht den TGV verlassen und sie um drei Uhr morgens durch einen sehr einsam aussehenden Grenzposten geschleust hatte, vorbei an zwei Gepäckträgern von der Nachtschicht, die uns von einem geschlossenen Zeitungskiosk aus anglotzten und irgendwas in gebrochenem, aus dem Fernsehprogramm gelernten, Englisch von einem Jungen murmelten, der seine Nutte nach einer wilden Nacht mit nach Hause brachte. Kurz danach waren wir in einen Schweizer Regionalzug eingestiegen, hatten einem gelangweilt aussehenden Beamten Pässe und Fahrkarten hingehalten, der sie abgestempelt und wieder zurückgeschoben hatte.
    Jetzt stand der Zug, die ersten Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg von den hohen Alpen herab und tauchten das Abteil in ein brüchiges orangefarbenes Licht, auf das ich überhaupt nicht vorbereitet war.
    »Wach auf.«
    »Hm?«
    »Wir sind da.« Ich bewegte den Arm, und Gobi wurde

Weitere Kostenlose Bücher