Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
Vom Netzwerk:
sehr allgemeinen Sinne des Wortes. Sie schlingerte von einer Seite der schmalen Straße zur anderen und kurbelte dabei wild am Lenkrad, als hätte sie den Führerschein in irgendwelchen alten Filmen gemacht, in denen der Hintergrund offensichtlich hinter den Köpfen der Schauspieler auf eine Leinwand projiziertwurde und man ihnen Luft ins Gesicht pustete und sagte, sie sollten ordentlich am Steuer drehen.
    Vor uns sah ich ein ganzes Dutzend Lichter blinken, hörte Musik und Lärm – dort zog eine ganze Parade vorüber, die vom Ausbruch des Dritten Weltkrieges in Bewegung gesetzt worden war. Gobi hielt direkt darauf zu, mit einer Hand am Lenkrad, was ihr ermöglichte, sich aus dem Fenster zu lehnen und auf diejenigen zu schießen, die hinter uns her fuhren.
    »Lass den Kopf unten.«
    »Wo willst du hin?«
    Sie antwortete mir nicht, aber ihre Augen wurden ganz groß. Ich versuchte an etwas zu denken, womit ich sie wirklich überraschen konnte, und ich musste nicht sehr lange überlegen. Vor uns standen Hunderte alpenländische Nikoläuse auf der Straße und sahen zu, wie sich das Feuer langsam ausbreitete.
    »Was zum Teufel …?« Ich schaute wieder zu der bunten Fahne hinauf und erinnerte mich daran, was darauf gestanden hatte – CLAUWAU. Allem Anschein nach waren wir inmitten eines internationalen Nikolaus-Treffens gelandet.
    Überall Nikoläuse. Die meisten sahen ebenso erschrocken aus wie ich, aber das ließ sich in dem allgemeinen Chaos nur schwer sagen. Einer von ihnen wirbelte herum, als wir vorüberrasten, und ich fragte mich, ob Paula oder wer auch immer uns verfolgte, so vorausschauend gewesen war, dass sie ihre Attentäter als Nikoläuse verkleidet hatten. Irgendwo detonierte die nächste Granate mit einem WUUSCH und einem Zischen, und eine ganze Meute Männer und Frauen in roten Mänteln mit ausgestopftenBäuchen rannte in alle Himmelsrichtungen davon. Als die Straße endlich wieder frei wurde, sah ich einen Weihnachtsmann, der laut schreiend und mit brennendem Bart in eine Gasse rannte. Rentiere – hier handelte es sich um echte Tiere, die sich aus ihrem Geschirr losgerissen hatten – sprinteten ebenfalls in alle Richtungen davon. Es war das reinste Nikolausgeddon .
    Gobi wich schleudernd einer zweiten Herde Nikoläuse aus, die alle mit Elvis-Tollen und Goldlamé-Stiefeln ausgestattet waren und kurz zuvor noch bei einer Art Wettbewerb an einem Holzpfahl emporgeklettert waren. Der Pfahl war umgefallen, und Gobi kurvte um ihn herum, wobei sie mit den linken Rädern so heftig irgendwo dagegen fuhr, dass ich etwas unter uns abreißen hörte.
    »Wo willst du hin?«, stieß ich hervor.
    Die Antwort lautete: »Hubschrauberlandeplatz.«
    *
    »Wenn wir oben sind«, sagte Gobi, »lass mich reden.«
    »Glaubst du wirklich, dass sie uns dort einfach wegfliegen lassen?«
    »Ich denke schon.« Sie hob die Maschinenpistole ein wenig an, stieß dann die Hand in ihren Mantel und zog ein sattes Bündel Euros hervor, das von einer großen Geldscheinklammer aus Metall zusammengehalten wurde und das sie mir in die Hand drückte. »Halt das fest. Falls wir verhandeln müssen.«
    »Hast du dafür nicht die Knarre?«
    Eine rhetorische Frage, das wussten wir beide. Wir hatten unser Ziel erreicht. Zuerst war es mir nicht klar, auch nicht, als ich sah, wie sich die große blau-weiße AIR ZERMATT-Garagevor uns öffnete und sich ein Autolift von der Größe eines Flugzeugträgers auftat.
    Wir rollten hinein, und der Fahrstuhl fuhr aufwärts, oben öffneten sich die Türen, und wir rollten auf das Dach hinaus.
    Der Hubschrauber wartete auf uns.
    Auf dem roten Rumpf waren weiße Schriftzeichen angebracht. Die Rotoren drehten sich bereits und gaben das unverkennbare Ffft-Ffft-Ffft der Blätter von sich, begleitet vom Aufjaulen der Turbinen. Ich hatte irgendwo etwas über Vietnam-Veteranen gelesen, die das Geräusch von Rotoren nicht mehr ertragen konnten, weil sie davon sofort an den Krieg erinnert wurden. In diesem Augenblick konnte ich das voll verstehen. Obwohl es auf der anderen Seite der Welt lag, fühlte ich mich bei dem vertrauten Geräusch und dem speziellen Geruch der Abgase sogleich wieder in das siebenundvierzigste Stockwerk eines Hochhauses mitten in Manhattan versetzt, umgeben von Schüssen, explodierendem Glas und gebrochenen Versprechen.
    Ich blickte hinab auf das Zermatt unter uns, auf die Sirenen und das Feuer am anderen Ende der Straße, wo die Schlacht um das Hotel Schöneweiß den Geräuschen nach immer noch

Weitere Kostenlose Bücher