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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
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Feuerzeug in die Luft und machte die Flamme an. » Rock on, baby. «
    Ich stellte den Bass ab und sah zu ihr hinüber. Sie trug einen schwarzen Wollmantel und kniehohe Lederstiefel, und sie stand an der Bar, gleich neben Monash in einem grauen Straßenanzug. Zwischen ihnen stand der leichenhafte Pariser Türsteher, der uns ein paar Minuten zuvor hereingelassen hatte. Er hielt die tätowierten Arme verschränkt und die Hände an den Ellbogen und versuchte angestrengt trotzig und französisch auszusehen, was bestimmt nicht ganz leicht war, wenn einem Monash eine Pistole an den Kopf hielt.
    »Hör mal«, sagte Paula, »ich weiß, dass du für heute Abend schon was vorhast, aber Dad und ich haben es gerade ziemlich eilig. Hast du was dagegen, mal kurz mit uns nach hinten zu kommen? Ich habe da was, das dürfte dich absolut interessieren.« Sie drehte sich langsam um, dann schien ihr noch etwas einzufallen. »Ach, und bring doch den Freak mit.«
    Gobi warf mir einen kurzen Blick zu, dann gingen wir hinter Paula her aus dem Club.
    *
    In einer Seitenstraße parkte ein weißer FedEx-Lieferwagen gleich neben einer Reihe Motorrollern. Der Regen hatte mehrere Stapel Müllsäcke aufgeweicht, und es roch überall nach ungeklärtem Abwasser. Paula ging wortlos um den Lieferwagen herum, machte die Hecktüren auf und trat ein Stück beiseite, damit ich hineinschauen konnte.
    Und dann sah ich sie, in Echtzeit.
    Drei zusammengekauerte Gestalten saßen auf dem Boden des Laderaums mit dem Rücken zur Wand und blinzelten ins Licht. Und ganz plötzlich stieg alles Mögliche in mir hoch und löste sich sofort wieder in nichts auf.
    »Mom«, sagte ich. »Dad. Annie.«
    Meine Mutter reagierte als Erste. Sie kroch auf mich zu und schlang die Arme um mich. »Perry, Gott sei Dank.« Ihre Stimme verriet mir sofort, dass sie sich mehr Sorgen um mich machte als um sich selbst oder Annie. Dad kniete und hielt Annie fest, wobei er ihr eher dabei half, sich im Wageninneren auf die Tür zuzubewegen.
    »Alles in Ordnung mit euch?«
    Dad nickte. »Uns geht’s gut.« Seine Stimme klang leise, ganz anders, irgendwie gebrochen, nicht so selbstbewusst, wie ich es normalerweise von ihm gewohnt war. Seine Stoppeln verwandelten sich bereits in einen Bart, was ihn jünger, aber gleichzeitig älter aussehen ließ. »Wir sind bloß müde.«
    »Annie?« Ich drückte sie fest an mich. »Alles klar, du Zwerg?«
    Sie nickte. Ich spürte ihr wild klopfendes Herz. »Ich hasse dich, großer Bruder.«
    »Ja«, sagte ich. »Ich hab’s auch verdient.«
    »Dafür musst du ordentlich was gutmachen.«
    »Stimmt«, sagte ich. »Wenn das alles vorbei ist …«
    »Hauptsache, es ist vorbei.« Ihr stiegen Tränen in die Augen. »Das würde mir schon reichen.«
    »Vielen Dank, Stormaire, dass du deine Seite unserer Abmachung eingehalten hast«, mischte sich Paula von hinten ein, und als ich mich umdrehte, sah ich, dass sie die Glock, die sie an Gobi verloren hatte, durch etwas noch Hässlicheres ersetzt hatte, eine Art aufgepimpte sowjetisch aussehende Maschinenpistole, die sie auf Gobis Gesicht gerichtet hielt.
    Monash hatte Gobi mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt, direkt unter einem originellen Pariser Graffito, das Schulkinder im Ringelreihen um einen Atompilz darstellte. Von den Dächern tropfte Regenwasser herab und ließ Gobis bleiches Gesicht in allen möglichen, ungesunden Varianten schimmern. »Du hast sie uns wie versprochen ausgeliefert.«
    Gobis Augen blitzten auf, ihr Blick heftete sich über Paulas Schulter auf mich wie Magnet auf Metall, und ich schüttelte energisch den Kopf.
    »Nein«, sagte ich. »Warte mal, das stimmt überhaupt –«
    »Du hast die richtige Entscheidung getroffen«, fiel mir Paula ins Wort. »Wer würde nicht seine Familie irgendeinem Mädchen vorziehen, das er eigentlich kaum kennt?«
    »Das war nicht meine Absicht!«, rief ich, aber Gobi sah mich schon nicht mehr an.
    »Diesmal entwischt sie uns nicht«, sagte Monash. Ich hörte ihn zum ersten Mal reden, wenn ich das Gebrüll in dem Koffer in Venedig nicht mitzählte. Jetzt, mit einer Pistole in der Hand, klang seine Stimme wesentlich kultivierter, ein britisches Amerikanisch, das Ergebnis von Privatschulenund Internaten, genau wie man sich die Stimme des Vaters von jemandem wie Paula vorstellen würde.
    Er vergewisserte sich, dass Paula ihre Pistole weiterhin auf Gobi richtete, schob seine Waffe in ein Schulterhalfter und machte sich daran, Gobis Handgelenke mit Kabelbindern zu

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