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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
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sagte ich. »Zusane Elzbieta Zaksauskas.«
    Beim Klang ihres vollständigen Namens wurden ihre Augen ganz schmal, die blinde Hysterie ließ nach, verwandelte sich in eine misstrauische Unsicherheit, aber die Pistole blieb, wo sie war. Vom anderen Ende des Waggons sahen uns die Leute mit angehaltenem Atem an.
    »Du bist das letzte Ziel«, sagte sie.
    »Nein«, sagte ich. »Du weißt, dass das nicht stimmt.«
    Sie entsicherte die Waffe.
    »Ich bin’s. Perry.«
    Sie murmelte noch einen Satz in ihrer Sprache, ihr Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Ihre Augen waren jetzt fast geschlossen, also wollte sie nicht sehen, was als Nächstes geschehen würde, aber ihre Lippen bewegten sich weiter. Es hörte sich fast an, als betete sie.
    Die Stimme in meinem Kopf sprach mit absoluter Gewissheit: Jetzt erschießt sie mich gleich. Ich werde hier in der Metro eines Landes sterben, dessen Sprache ich nicht mal spreche. Und in diesem Augenblick fielen mir die Worte wieder ein, die Erich mir in Zermatt beigebracht hatte.
    » Zusane «, sagte ich. » As tave myliu. «
    Ihre Augen wurden ganz kurz größer, dann ließ sie die Pistole endlich sinken. Der Zug wurde langsamer, schob sich in den Bahnhof, und die Passagiere drückten sich gegenseitig an die Tür, um möglichst schnell draußen zu sein.
    Ich konzentrierte mich voll auf Gobi. Nach einer halben Ewigkeit schien sie wieder in sich selbst zu versinken, ein ganzer Sturm an Gefühlen tobte über ihr Gesicht, und als sie mich endlich anblinzelte, sah sie aus, als würde sie weinen.
    »Perry?«
    »Alles ist gut.«
    »Warum hast du das gesagt?« Sie blickte auf die Pistole in ihrer Hand und dann wieder auf mich. Mit Entsetzen dämmerte ihr, was geschehen war.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich weiß nicht mal, was es bedeutet.«
    »Es ist … nichts.« Sie sah mich wieder an, und jetzt waren ihre Augen wieder klar.
    Der Zug war zum Stehen gekommen. Ich schaute aus dem Fenster auf die Flut verängstigter Passagiere, die sich so rasch wie möglich von uns entfernten. Polizeisirenen waren keine zu hören, noch nicht, aber das dürfte sich bald ändern.
    »Los, komm«, sagte ich. »Wir müssen sofort weg von hier.«
    Ich legte den Arm um ihre Schulter, nahm ihr die Glock aus der Hand, schob sie unter meinen eigenen Mantel und wischte ihr das Blut unter der Nase weg. Sie blutete immer noch, als ich sie auf den Bahnsteig und die Treppen hinauf auf die Straße und in den Regen hinaus bugsierte.

41
    »Teenagers«
    – My Chemical Romance
    Bis wir oben auf der Rue Oberkampf angekommen waren, wechselten wir kein Wort. Der Regen prasselte immer heftiger herab, spritzte in den Pfützen auf und bildete an den Markisen der Cafés kleine Wasserfälle. Auf der Straße waren so gut wie keine Fußgänger zu sehen. Motorroller und blaue Stadtbusse brummten vorbei und ließen das schmutzige Wasser aus den Rinnen hochspritzen. Ich kaufte einem Straßenverkäufer einen Regenschirm ab, hielt ihn über unsere Gesichter und überprüfte in den Schaufenstern, ob wir eventuell verfolgt wurden.
    Auf halber Strecke zur nächsten Kreuzung kamen wir an einem Chinarestaurant vorbei, näherten uns der dunklen, holzverkleideten Fassade des Café Charbon und einem kleinen lilafarbenen Vordach gleich daneben, auf dem ich las:

    NOUVEAU CASINO
    CONCERTS
    CLUBBING
    Ich riss die Tür auf, und ein großer, hagerer, fast skeletthafter Mann, der von seinem iPod aufblickte, stand in einem gestreiften Kapuzenpulli vor mir. » Où allez-vous? «
    »Ich muss da rein.«
    »Nein. Nicht offen heute.«
    »Ich gehöre zur Band.« Ich zeigte auf die neben dem Eingang gestapelten Flyer. »Inchworm.«
    »Du bist …« Er sah mich an und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, als suchte er nach einem Blickwinkel, aus dem mein Eintreffen mit seinen Erwartungen übereinstimmte. »Diese Band?«
    »Genau.« Ich tat so, als spielte ich ein paar Töne. »Der Bassist.«
    Der Türsteher warf einen Blick auf Gobi, die sich an mich lehnte. Sie hatte meinen Mantel über die Schultern geworfen. Allem Anschein nach sah sie für ihn punkig genug aus, denn plötzlich zeigte er in den Gang, und wir traten ein, wollten nach hinten in den Club.
    In diesem Augenblick packte mich eine Hand an der Schulter und ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben.
    *
    »Hab ich’s dir nicht gesagt?« Linus brüllte mich praktisch an. Unter seiner gewaltigen weißen Haarwolke standen die Adern an seiner Stirn dick hervor. »Hab ich dir nicht gleich

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