Wiedersehen in Stormy Meadows
bedankt, weil ich mir so sicher war, dass das Zimmer ihr nicht gefallen würde.
Ich mustere Cassies Gesicht, versuche zu ergründen, was wirklich in ihr vorgeht, aber die Augen über dem lächelnden Mund sind ausdruckslos, und Gedanken lesen kann ich nicht. Vielleicht unterstelle ich ihr etwas, vielleicht basieren meine Vermutungen einfach auf meinen eigenen Erfahrungen mit Robs Tochter. Auch die Mutter ihrer besten Freundin sagt ja immer, sie sei so ein entzückendes Kind. Vielleicht ist Cas nur zu mir so unausstehlich – und zu Petra auch, Pech für sie.
Die Mansarde ist wirklich sehr schön. Ein Zimmer, von dem Teenager träumen. Wenn ich während meiner Zeit hier in so einem Zimmer gewohnt hätte, wäre ich vielleicht versucht gewesen, ein wenig länger zu bleiben. Was für ein Gedanke! Es ist so sonderbar, wieder hier zu sein, dass ich auf merkwürdige Ideen komme. Was bringt es schon, darüber nachzugrübeln, wie es mir mit sechzehn in diesem Haus gegangen ist.
»Ich mache jetzt Essen. Ihr könnt ja auspacken und euch frisch machen und dann runterkommen.« Laura lächelt immer noch.
Ich frage mich, ob sie sich wohl zum Lächeln zwingen muss und wie schwierig sie insgeheim dieses Wiedersehen findet.
Sie wendet sich an Cas. »Das Bad ist die letzte Tür links am Flur im ersten Stock. Wenn du dich verirrst, dann ruf einfach.«
Ich springe unter die Dusche und ziehe mir etwas anderes an, aber anstatt auszupacken, gehe ich wieder nach unten. Von Cas keine Spur. Laura steht in der Küche und bereitet das Essen vor. Gerade schneidet sie von einem Bund erdverkrusteter Möhren das Grün ab. Mit dem Messer in der Hand schaut sie von ihrem Schneidebrett auf und lächelt zögernd, aber einladend.
»Alles in Ordnung? Hast du alles gefunden, was du brauchst?«
Ich nicke. »Ja, danke.«
»Mit dem Essen dauert es nicht mehr lange. Ich hoffe, du magst Shepherd’s Pie immer noch so gern.«
»Was kann ich tun?«
»Siehst du die Flasche Wein da auf dem Tisch?«
»Ja.«
»In der Schublade rechts von der Spüle liegt ein Korkenzieher, gleich hinter dem Besteckkorb.« Sie deutet hinter sich.
»Schon gefunden.«
»Schön. Mach die Flasche auf und schenke uns beiden ein Glas ein. Und dann setz dich hin und leg die Beine hoch. Nach der Fahrt hierher und unserer Aktion mit den Kartons musst du doch total kaputt sein.«
Aber ich kann nicht still sitzen, während Laura arbeitet, das macht mich ganz unruhig.
»Nein, mir geht’s gut, ehrlich«, antworte ich, während ich langsam den Korken aus der Flasche ziehe. »Aber ich geb’s zu, ich bin ein bisschen müde«, ergänze ich, denn mein Körper zwingt mich gerade zu einem herzhaften Gähnen. »Trotzdem, ich möchte dir gerne helfen, wenn ich kann. Hast du nichts für mich zu tun?«
»Setz dich.« Laura lächelt. »Ruh dich aus, lies Zeitung oder sonst was.«
Die Daily Mail von heute liegt zusammengefaltet auf dem überdimensionalen Küchentisch. Ich schenke zwei Gläser Wein ein und reiche eins meiner Mutter. Dann lasse ich mich am Tisch nieder und blättere die Zeitung auf, um die Schlagzeilen zu überfliegen.
Seit drei Tagen habe ich keine Zeitung gelesen. Keine Ahnung, wie ich das so lange ausgehalten habe. Ich bin eine passionierte Leserin, und neben Büchern und Zeitschriften verschlinge ich normalerweise auch die meisten großen Tageszeitungen, denn in meinem Job muss ich immer auf dem Laufenden sein. Auch in den Ferien kann ich es mir nicht leisten, wichtige Meldungen zu versäumen.
Doch heute ist in der Welt offenbar nicht viel los: Die Daily Mail präsentiert eine drittklassige Geschichte aus dem Showbusiness über drittklassige Schauspieler. Normalerweise wäre so was erst auf Seite drei zu finden, nicht schon auf der Titelseite. Halbherzig lese ich den Artikel und bin merkwürdig erleichtert, dass ich nichts Wichtiges verpasse.
Endlich kommt Cassie herunter. Sie hat saubere Jeans und ein dickeres Sweatshirt ohne Schmutzflecken angezogen, und ihr Haar ist noch feucht vom Duschen. Auch sie erkundigt sich sofort, ob sie helfen kann, was mich, ehrlich gesagt, ein wenig überrascht. Offensichtlich zeigt sie sich von ihrer besten Seite. Ich frage mich, wie lange diese Phase wohl anhalten wird.
Laura reicht ihr einige Möhren, die sie gerade abgespült hat. »Die könntest du Chance rausbringen, wenn du Lust hast.«
Cas zuckt die Achseln. »Wie du willst.«
»Nimm meine Stiefel, dann brauchst du deine Schuhe nicht von oben zu holen.« Laura betrachtet Cassies
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