Wiedersehen in Stormy Meadows
ängstlichen Gesichtsausdruck. Ich sehe, wie sie meine Mutter taxiert und zu analysieren versucht, wie eine mathematische Gleichung, die sie bisher nicht lösen konnte. Aber sie wird versuchen, es noch an diesem Nachmittag zu schaffen. Doch ich kenne Laura schon mein ganzes Leben lang und habe die Lösung auch noch nicht gefunden.
Es sind nur zwölf Kartons, aber wir brauchen eine Stunde für die Arbeit. Am längsten dauert immer die Warterei auf Hank, trotzdem schlägt Laura nicht vor, dass eine von uns hingehen und ihm helfen soll, und weil sie vermutlich einen Grund dafür hat, biete ich es ihr auch nicht an.
Ich beobachte, wie meine Mutter mit Cas plaudert, während des Wartens und bei der Arbeit. Mit Cas zu schwatzen ist schwierig, denn sie antwortet eigentlich nie. Doch Laura hat anscheinend etwas mehr Erfolg als ich. Und als wir mit dem Einladen fertig sind, scheinen die beiden sich richtig zu unterhalten. Gelegentlich lächelt Cas sogar. Schwach und traurig, aber immerhin, sie lächelt.
Hank kommt mit dem anscheinend letzten Karton zurück und schiebt ihn selbst hinten in den Land Rover hinein. Laura schließt die Klappe, reibt sich die Hände und wendet sich strahlend an uns alle.
»Also, ich finde, wir haben heute ganz schön hart gearbeitet. Cassie, sei so lieb, setz den Kessel auf und mache uns eine schöne Tasse Tee, ja? Hank hat ihn gern stark und süß, stimmt’s? Genau so, wie ich meine Männer mag.« Sie kneift ihm zärtlich in die Wange, und der schweigsame Mann errötet bis unter die Wurzeln seiner grauen Locken.
Zu meiner Verwunderung tut Cassie, worum Laura sie gebeten hat, fraglos und ohne finstere Blicke. Als wir ihr ein paar Minuten später in die Küche folgen, steht der Kessel auf dem Herd, und Cas holt gerade Teebeutel aus einer Blechdose und nimmt dann ein paar Tassen von der Fensterbank.
»Das ist meine«, erklärt meine Mutter und deutet auf eine Tasse mit der Aufschrift Chef . »Die mit dem Sternenbanner ist Hanks, ob ihr es glaubt oder nicht, und aus der Gelben trinkt Luke, den ihr auch demnächst kennenlernen werdet. Sucht euch eine aus und bleibt dabei. Wir trinken hier im Laufe des Tages literweise Tee, aber faul, wie wir sind, waschen wir nicht jedesmal ab.«
Ich sehe, wie Cassie missbilligend die Lippen zusammenpresst, da sie den Humor in Lauras Stimme überhört hat. Dann inspiziert sie am Spülbecken die Tasse, nach der sie gegriffen hat. Auch das ist ungewöhnlich bei ihr. Anders als die meisten Teenager, die ab dreizehn anscheinend am liebsten im absoluten Chaos leben, ist sie unglaublich ordentlich. Fast zwanghaft ordentlich.
Ihr Zimmer zu Hause würde selbst bei der Armee die strengste Inspektion bestehen. Im übrigen Haus hinterlässt sie eine Spur der Verwüstung, aber ich weiß, dass sie damit gegen ihre Natur handelt und das nur tut, um mich auf die Palme zu bringen. Offenbar hat die Tasse die Prüfung bestanden, denn sie stellt sie zu den anderen auf das Tablett. Dort warten auch schon ein Milchkännchen mit einer schwarzbunten Kuh darauf und eine riesige Teekanne, die einst meiner Großmutter mütterlicherseits gehörte.
Auf dem Tisch steht bereits ein Teller mit Keksen. Hank setzt sich und nimmt sich eine Handvoll. Cas und ich warten, bis meine Mutter sich gesetzt hat, bevor wir uns Plätze suchen, wie Besuch, der erst die übliche Sitzplatzverteilung abwartet.
Doch meine Mutter hat diesbezüglich offenbar keine Präferenzen. Sie lässt sich einfach auf den nächstbesten Stuhl fallen.
Während wir Tee trinken, spricht nur meine Mutter. Hank sagt kein Wort. Laura redet über die Farm, über das Füttern, über Reparaturen, über Zäune. Wenn sie eine Frage an ihn stellt, nickt er bloß oder schüttelt den Kopf, je nachdem. Dabei trinkt er seinen Tee und verschlingt mit erstaunlicher Geschwindigkeit einen Keks nach dem anderen.
Cassie sitzt am Kopfende des Tisches, möglichst weit weg von uns anderen. Sie hält ihre Tasse in den Händen, trinkt aber nicht, sondern bestaunt nur Hanks außergewöhnliches Outfit. Ihr anfängliches Gekicher ist einer erschrockenen Faszination gewichen, und sie kann kaum den Blick von ihm abwenden.
Ich kann ihr das nachfühlen, denn ich muss ja selbst immerzu seine sonderbaren Stiefel angucken. Jedesmal, wenn ich zu ihm hinsehe, gleitet mein Blick unwillkürlich nach unten.
Ich lächle Cas an, will ihr zeigen, dass ich mich auch ein wenig über Hank amüsiere, aber sie übersieht mich geflissentlich.
»Jetzt geht’s mir
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