Wiedersehen in Stormy Meadows
dir im Bett hattest.«
Verwirrt sehe ich sie an, bis mir klar wird, dass sie Mac meint.
»Ach ja.« Lachend puste ich den Dampf von meinem Tee. »Ein ungeladener Übernachtungsgast.«
Mit einem dumpfen Schlag lässt der Toaster zwei Scheiben leicht gebräuntes Brot hochschnellen. Laura steht sofort wieder auf, holt Toast und Butter und stellt beides vor mich. Als ich das Essen ignoriere und nur weiter meinen Tee schlürfe, macht sie ein enttäuschtes Gesicht.
»Wo ist Cas?«, frage ich.
»Die hab ich rausgeschickt.« Meine Mutter zieht leicht die Augenbrauen hoch. Aus ihrem Tonfall schließe ich, dass Cassies gutes Benehmen nur von kurzer Dauer war.
»Du meinst, du hast sie zur Strafe vor die Tür geschickt?«, erkundige ich mich.
Laura lächelt, aber in ihrem Lächeln liegt eine gewisse Härte. »Ach, sie ist ja keineswegs dumm. Ihre bissigen Kommentare haben für ein Mädchen in ihrem Alter sogar etwas Geniales.«
»Ach je. Sie ist ein harter Brocken, was?«
Laura nickt.
»Tut mir leid, wenn sie unmöglich war.«
»Hast du etwas anderes erwartet?«
»Doch, normalerweise ist sie zu allen höflich, außer zu mir.«
»Dann kann ich mir wohl was darauf einbilden, dass ich eine Ausnahme bin. Eigentlich war sie gar nicht so schlimm.«
»Nein?«
»Nein, sie war nicht direkt unverschämt, aber sie hat einfach zu den meisten Dingen eine ganz feste Meinung.«
»Das stimmt.«
»Und im Moment sind ihre Meinungen nicht sehr schmeichelhaft.«
»Das tut mir leid.«
»Nicht nötig. Ich kann schon selbst auf mich aufpassen«, meint Laura.
Fragend hebe ich die Augenbrauen.
»Ich habe sie zum Gänsefüttern rausgeschickt.«
»Das würde ich kaum als Strafe bezeichnen«, setze ich an, bemerke dann jedoch, dass Lauras Lächeln etwas leicht Sadistisches hat.
Ich will gerade weiter nachfragen, da, wie auf ein Stichwort, zerreißt ein schriller Schrei die Stille. Gleich darauf kracht mit lautem Geschepper eine Futterschüssel auf den Boden. Ein großer Vogel schnattert entrüstet los.
Wir flitzen beide zur Tür und sehen, wie eine riesige Gans Cassie vor sich her über den Hofplatz jagt. Das Tier streckt die Flügel nach hinten und hebt sie dabei so hoch, dass es im Laufen fast über den Boden gleitet.
»Das ist Gertrude«, erklärt meine Mutter mit amüsiertem Blick. Mir fällt auf, dass sie keinerlei Besorgnis zeigt. »Wie du siehst, ist sie nicht gerade ein freundliches Geschöpf.«
Noch nie habe ich jemanden so schnell rennen sehen.
Cassie stürzt sich in den Land Rover, der direkt vor dem Küchenfenster parkt, und schlägt die Tür zu, gerade als der Gänseschnabel ein letztes Mal vorschießt, um nach ihrem Fuß zu schnappen. Ziemlich ungerührt schaut Laura zu, wie sich die beiden etwas kleineren Vögel, die den Rest der Gänseherde bilden, hastig durch das offene Tor davonmachen. Sie seufzt zwar leise, lächelt aber auch noch, als die Hühner und dann auch die gemächlicheren Enten dem Beispiel der Gänse folgen.
»Liebe Cassie«, ruft sie meiner Stieftochter durchs Küchenfenster zu, »ich habe dir doch gesagt, dass du die Tore zu den Gehegen immer hinter dir schließen musst.«
Mit finsterer Miene schaut Cassie uns aus dem Wagenfenster an.
Laura schnappt sich aus dem Schirmständer an der Tür einen Spazierstock und geht nach draußen. Als sie den Hofplatz zur Hälfte überquert hat, dreht sie sich zu mir um. »Na komm, Nattie! Hilf mir doch, die Mädels zusammenzutreiben! Die beißen schon nicht«, drängt sie, als ich zögere.
Sie marschiert auf eine Gans zu, die vor Chances Stalltür herumpickt und mit einem beängstigend langen und kräftigen Schnabel die Krumen von seiner letzten Mahlzeit frisst.
»Bestimmt nicht?«, rufe ich.
»Sie können gar nicht beißen – sie haben ja keine Zähne«, ruft Laura zurück, als ich mich nicht vom Fleck rühre. »Allerdings können sie ganz schön übel zwicken«, fügt sie belustigt hinzu.
»Denkt bloß nicht, dass ich rauskomme und euch helfe!«, ruft Cassie durch das zwei Finger breit geöffnete Wagenfenster. »Ich bleibe hier drin, bis … bis dieser … dieser Rottweiler in Gänsegestalt wieder hinter Gittern ist.«
Widerstrebend schlüpfe ich in ein Paar Gummistiefel. Die raue Innensohle fühlt sich an meinen bloßen Füßen kühl und klebrig an. Dann ziehe ich Lauras steife alte Barbourjacke über mein kurzes Nachthemd und krame im Schirmständer nach dem stabilsten Spazierstock, den ich finden kann. Ich suche mir einen dicken, gedrehten und
Weitere Kostenlose Bücher