Wiedersehen in Stormy Meadows
erleuchteten hinteren Flur. Zu meiner Linken befindet sich eine geschlossene Tür, eine weitere erkenne ich am Ende des Flurs. Dort, wo der Flur nach links abknickt, ist ein leichter Lichtschimmer zu sehen.
»Das Telefon ist im Arbeitszimmer.« Er nickt in Richtung der schweren Tür. »Ich setze schon mal Wasser auf. Möchtest du Tee oder Kaffee? Oder lieber etwas Stärkeres?«
»Ein Tee wäre ganz wunderbar, danke.«
Er verschwindet nach links, dorthin, wo das Licht herkommt, und ich drücke die schwere Tür vor mir auf.
»Der Lichtschalter ist rechts von der Tür«, ruft Connor mir noch über die Schulter zu.
Ich taste die Wand ab, finde den Schalter und betätige ihn. Dann verschlägt es mir fast die Sprache, als der Raum vom sanften, warmen Licht dreier Wandlampen durchflutet wird. Man könnte meinen, sämtliche Sitzmöbel, die im Wohnzimmer fehlen, seien in diese kleine Kammer gestopft worden. Die schweren, weinroten Vorhänge sind zugezogen, der Teppichboden ist dick, und der darauf liegende echte Teppich wirkt kostbar. Durch den doppelten Fußbodenbelag fühlt es sich an, als würde man auf einem Kissen laufen.
Ein Ohrensessel lädt zum gemütlichen Verweilen ein, ein dunkler Ledersessel zum Arbeiten am dunklen Eichenschreibtisch. Und überall sind Bücher. Massenweise Bücher. Man kann vor lauter Büchern die Wände gar nicht sehen. Sie stapeln sich auf dem Boden, auf dem Schreibtisch, auf der Fensterbank und vor dem Kamin, in dem die letzten Reste eines Feuers glimmen.
Ich vergesse völlig, wieso ich hier bin, und nehme sofort ein in Leder gebundenes Buch von einem der Stapel. Ich halte es mir dicht vors Gesicht und sauge beglückt den Duft von altem Papier ein. Dann drehe ich den Band um und lese die goldene Schrift auf dem Buchrücken.
Sturmhöhe . Wie passend. Ich muss fast lachen, als ich das Buch ausgerechnet an der Stelle aufschlage, an der Cathy bei Sturm übers Moor irrt. Ich überlasse es Heathcliff, Cathy zu retten, und bewege mich von Bücherstapel zu Bücherstapel wie eine Hummel, die sich in ein Treibhaus verirrt hat und sich angesichts des Überangebotes von Nektar nicht entscheiden kann, welcher Blüte sie sich nun widmen soll.
Als Connor mit dampfenden Tassen und einer verstaubten Flasche Brandy zurückkehrt, habe ich es mir im Schneidersitz auf dem Boden vor dem Kamin bequem gemacht, die Nase tief in eine Ausgabe von Stolz und Vorurteil gesteckt. Er reicht mir meinen Tee, dem er einen ordentlichen Schuss Brandy verpasst hat. Dankbar nippe ich daran und spüre, wie zunächst die warme Flüssigkeit in meinen Magen rinnt und sich dann, als der Alkohol ins Blut gelangt, die Wärme im ganzen Körper ausbreitet.
»Du magst Bücher?«, fragt er lächelnd, als er mich so dasitzen sieht.
»Ich lese für mein Leben gern.« Ich strahle ihn an. »Ich schreibe ja selbst, da brauche ich Wörter und Bücher wie … wie ein Diabetiker sein Insulin … wie du Farben und Leinwände brauchst.« Ich halte inne und lächle ihn verlegen an. »Tut mir leid, ich bin kaum auszuhalten, wenn ich erst mal loslege.«
Er lacht und deutet mit einer Geste durch den Raum. »Was meinst du denn, wie es mir geht? Bücher sind einfach der Hammer. Überleg doch mal, wenn man malt, dann erschafft man nicht einfach nur ein hübsches Bild. Man erschafft eine ganz neue, eigene Welt, in die andere sich vertiefen können. Und genau dasselbe gilt für Bücher.« Er bückt sich und nimmt Robinson Crusoe von einem der Stapel. »Das hier sind nicht einfach nur jede Menge Wörter, das hier ist nicht einfach nur eine Geschichte. Dieses Buch hat meine Kindheit geprägt und mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.«
»Ich weiß genau, was du meinst. Mir ist, als würde ich alte Freunde wieder treffen, wenn ich deine Bücher sehe. Ich hatte als Kind und Jugendliche nicht viele richtige Freunde«, gestehe ich. »Wir sind so oft umgezogen und haben nie lange genug irgendwo gewohnt, um echte Freundschaften zu schließen. Ich weiß gar nicht, wie das geht. Immer die Neue zu sein ist nicht so einfach, schon gar nicht, wenn man statusmäßig nichts zu bieten hat. Aber die hier und die Charaktere in ihnen, die waren meine Freunde, und sie kamen mir oft wirklicher vor als das echte Leben. Als die Schwalben gegen die Amazonen kämpften, bin ich mitgesegelt, in der Dunkelheit zwischen den Felsen hindurch, nur von zwei Laternen geführt. Als Lucy durch die Schrankrückwand nach Narnia kam, habe ich neben ihr meine Fußspuren im
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