Wiedersehen in Stormy Meadows
sogar jünger. Ich kann mich gut daran erinnern, wie Laura sich in sich selbst zurückzog, als mein Vater starb, wie distanziert und unnahbar sie war, wie sämtliches Leben in ihr zu erlöschen schien. Ich kann mich auch gut erinnern, wie sehr ich um den Verlust meiner lebhaften, liebevollen, von mir so sehr geliebten Mutter getrauert habe – um den Menschen, in den Laura sich jetzt anscheinend wieder zurückverwandelt hat.
Ich hasste die damalige Laura. Ich fühlte mich von ihr alleingelassen. Ihre Not hatte mir meine Mutter geraubt. Damals hätte ich sie am liebsten angeschrien, sie solle sich gefälligst zusammenreißen, weitermachen, stark sein – all das, was ich heute geflissentlich überhöre, wenn andere es mir sagen …
Ich trockne gerade die Tassen ab, als Connor mit ernstem Gesicht hereinkommt. »Laura hat gesagt, dass oben auf dem Feldweg ein Baum quer liegt, und auf der A30 auch. Und im Radio wird vor Überschwemmungen durch heftige Regenfälle gewarnt.«
»Ist bei ihr alles in Ordnung?«
»Jetzt, wo sie weiß, dass du nicht von einem der Bäume erschlagen worden bist, ja. Sie haben über eine Stunde nach dir gesucht.«
»Oh, nein! Wirklich?« Ich stelle eine Tasse ab und halte die Hand vor den Mund.
Er nickt.
»Oh, Gott, ist mir das unangenehm. Ich hatte niemandem gesagt, dass ich einen Spaziergang machen wollte.«
»So sieht’s aus.«
»Ich muss nach Hause.«
Connor schüttelt den Kopf. »Geht nicht. Die Straße ist doch blockiert. Und der Weg zum Haus auch. Die Feuerwehr wird die Hauptstraße sicher schnellstmöglich räumen, aber deine Mutter hat Hank gesagt, er kann mit dem Weg runter nach Stormy Meadows ruhig bis morgen warten. Typisch Laura – sie will einfach nicht, dass er bei dem Wetter vor die Tür geht. Ich kann dich also auch nicht zurückfahren, alles ist dicht.«
»Dann gehe ich eben zu Fuß.«
»Jetzt mach mal nen Punkt.«
»Wieso, ist doch nicht weit, das geht schon.«
»Klar – auf dem Küstenweg und quer über die Wiese, auf der ich dich vorhin eingesammelt habe, falls du dich noch erinnerst. Ich wollte vorhin nicht, dass du dich da draußen herumtreibst, und jetzt, wo es dunkel ist und noch heftiger stürmt, will ich das erst recht nicht.«
Ich bin versucht, ihn darauf hinzuweisen, dass ich Connor Blythes Erlaubnis nicht brauche, aber ich weiß ja, dass die reine Vernunft aus ihm spricht, während ich wieder einmal irrational reagiere.
»Ich habe Laura versprochen, dich über Nacht hierzubehalten.«
»Das geht nicht«, platzt es aus mir hervor. Mir graut vor der Vorstellung, die Nacht hier zu verbringen. »Ich meine, ich will dir nicht zur Last fallen …«
»Du fällst mir nicht zur Last.« Sein angespannter Gesichtsausdruck löst sich, und er lächelt mich an. »Und abgesehen davon: Wie oft hast du schon für mich auf Mac aufgepasst?«
»Das ist doch etwas ganz anderes!«
»Ja, natürlich, du hast zum Beispiel deutlich bessere Manieren.« Sein Lächeln wird breiter, und mein Unbehagen lässt nach.
»Woher willst du das wissen?«, schmunzele ich.
»Na ja, soweit ich das bisher beobachtet habe, furzt du nicht unkontrolliert in der Gegend herum und klaust auch niemandem das Essen vom Teller, oder?«
»Jedenfalls nicht in aller Öffentlichkeit.« Ich bin dankbar für seinen Humor.
»Gut, dann wäre das ja geklärt. Du bleibst heute Nacht hier, basta. Das nächste Problem ist, dass ich zwar ein Gästezimmer habe, dass da aber gar kein Bett drin steht.«
»Ich leg mich einfach zu Mac – er legt sich ja auch zu mir, wenn er bei uns ist.«
Er schüttelt den Kopf. »Du kannst in meinem Zimmer schlafen.«
»Und du? Wo willst du dann schlafen?«
»Im Wohnzimmer.«
»Ist das der Raum mit den vielen Gemälden?«, frage ich besorgt. Das einzige Möbelstück darin, das als Nachtlager dienen könnte, war der Tisch. »Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich würde kein Auge zutun, wenn ich in deinem Bett liegen würde und wüsste, dass du auf kaltem Steinboden schlafen musst.«
»Muss ich ja auch gar nicht.« Er führt mich zurück in den Flur und öffnet die letzte Tür, hinter der sich noch ein winziges Zimmer verbirgt.
Jetzt verstehe ich: Das Zimmer mit den Gemälden ist gar nicht das Wohnzimmer, sondern sein Atelier. Das hier ist sein Wohnzimmer. Klein, aber fein. Wunderschön eingerichtet. Als hätte jemand den Salon aus einer herrschaftlichen Villa genommen, in den Wäschetrockner gesteckt und auf Miniaturgröße geschrumpft. Vor den beiden Fenstern hängen
Weitere Kostenlose Bücher