Wiedersehen in Virgin River
gewesen, die versuchten, die Sommersprossen zu besiegen, und dementsprechend etwas überdreht. In den letzten Jahren war er dann gewachsen und fülliger geworden, und er redete auch weniger. Nachdem sie ungefähr ein Jahr lang mit dem Bau beschäftigt gewesen waren, wurde die Bar eröffnet, und sie ließen ihn dort arbeiten.
„Rick, du brauchst eine Einweisung“, informierte ihn Preacher.
„Ach ja? Was ist denn los?“
„In meinem alten Zimmer oben ist eine Frau mit Kind. Ich kümmere mich um sie. Dem Kleinen geht’s momentan nicht besonders. Kann sein, dass er irgendwas ausbrütet. Sie bleiben eine Weile. Wie es aussieht, könnte es vielleicht … Also …“ Preacher suchte nach den richtigen Worten. „Sie hat eine Prellung im Gesicht und einen Riss in der Lippe. Sie dürfte in Schwierigkeiten stecken, denke ich, und auf der Flucht sein. Also … Wir werden ihre Namen hier nicht erwähnen, für den Fall, dass jemand nach ihr sucht. Ihr Name ist Paige und der Name des Kindes ist Christopher, aber wir werden die Namen eine Zeit lang nicht nennen. Und sie werden hierbleiben, bis es ihnen bessergeht. Verstehst du?“
„Lieber Himmel, Preach“, sagte Rick. „Was tust du da?“
„Das habe ich dir doch gesagt. Ich kümmere mich um sie.
Mit Kindern hatte Preacher keinerlei Erfahrung, und er hatte auch nicht vor, selbst welche zu bekommen. Er war einunddreißig Jahre alt und hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung zu einer Frau gehabt. Seine Vorstellung vom Leben bestand darin, mit Jack zu angeln, die Bar weiter zu betreiben, gelegentlich auf die Jagd zu gehen und die regelmäßigen Zusammenkünfte mit der alten Truppe wahrzunehmen, aber er rechnete nicht damit, dass sein Leben sich großartig ändern könnte. Dass Jack sich verliebt hatte und jetzt verheiratet war, hatte Preachers Erwartungen nicht erschüttert, denn für ihn war Mel die Beste, und sein eigenes Leben hatte sich dadurch ja auch nicht geändert. Einer der Gründe, weshalb ihm Virgin River so gut gefiel, war der, dass es hier weniger auffiel, wenn er immer allein war.
Und dann begann sein Leben sich innerhalb von Tagen völlig zu verändern. Eigentlich waren es nur Stunden.
Christopher kam morgens im Schlafanzug die Treppe heruntergelaufen, bevor seine Mutter ihn zu fassen bekam und davon abhalten konnte. Es machte ihm Spaß, am Küchentresen zu frühstücken und Preacher dabei zuzusehen, wie er Gemüse schnitt, Käse rieb und die Eier für Omeletts aufschlug. Hinterher gab es auch immer etwas wegzukehren, und Chris freute sich, dass er seinen eigenen Besen dafür bekam. Und dann dieses Bärenfell und der präparierte Hirschkopf. Er wollte unbedingt hochgehoben werden, damit er ihn einmal anfassen konnte. Mel überließ ihnen ein paar Malbücher und Farbstifte aus der Klinik, damit Chris sich beschäftigen konnte, wenn Preacher das Mittagoder Abendessen zubereitete. Und es mussten mehr Plätzchen gebacken werden, als verzehrt werden konnten, denn schließlich gehörten Plätzchen nicht unbedingt zum Angebot einer Bar. Überraschend fing Paige dann an, in der Küche beim Abwasch zu helfen, wahrscheinlich, weil sie bei Chris sein wollte, der wiederum in der Nähe von Preacher sein wollte, vielleicht aber auch, um sich ein wenig ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Preacher fand das nicht nur hilfreich, sondern ausgesprochen angenehm.
Paige musste sich ausruhen, doch anfangs zögerte sie noch, ihr Kind unter Johns Aufsicht zu lassen. Diese Unruhe schien sie dann aber zu überwinden, was sicherlich daran lag, dass sie ja gewöhnlich in der Nähe war und Chris einen entspannten Eindruck machte. Und am vierten Tag ihres Aufenthalts ließ sie sich dann tatsächlich von Mel überzeugen, Chris bei Preacher zu lassen und mit ihr irgendwohin zu fahren. Preacher stellte keine Überlegungen an, wohin genau sie gefahren sein könnten, er fühlte sich einfach geschmeichelt, dass sie nun genügend Vertrauen hatte, ihn ohne Supervision babysitten zu lassen.
Und Preacher nutzte die Zeit zu seinem Vorteil.
Er hatte im Internet gesucht und sich über häusliche Gewalt und die entsprechende Gesetzgebung in Kalifornien informiert. Das hatte er spätabends getan, denn er musste sich einfach ein paar Dinge im Zusammenhang mit ihrer Situation, den schrecklichen Prellungen und ihrer Flucht klarmachen. Als Erstes fand er heraus, dass es keinen Unterschied machte, ob es der Ehemann oder ein Liebhaber war, in beiden Fällen war es gleichermaßen gefährlich für sie.
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