Wiedersehen macht Liebe (German Edition)
irgendeiner Ecke. »Und du musst dick auftragen, Jordo. Zitternde Lippe, große Krokodilstränen, was immer nötig ist. Dad konnte noch nie Nein sagen, wenn du weinst.«
Jordan sah ihn entrüstet an. »Wann habe ich denn bitte schon mal versucht, Dad mit Tränen zu manipulieren?«
»Oh, ich erinnere mich noch ganz genau daran, wie jemand tagelang geheult hat, nachdem man ihr erklärt hatte, dass sie kein Barbie-Traumhaus bekommen würde, weil es für ihr Zimmer zu groß sei.«
»Wir waren damals sieben«, erwiderte Jordan. »Die Umstände sind jetzt ein wenig anders.«
»Hast du das Barbie-Traumhaus bekommen?«, fragte Kyle nachdrücklich.
»Der Weihnachtsmann hat sich für mich eingesetzt«, antwortete sie mit einem spitzbübischen Lächeln. Sie blickte in Richtung des Arbeitszimmers ihres Vaters. »Okay, ich mach’s. Aber ich hasse die Tatsache, dass es so weit kommen musste.«
»Er braucht Hilfe, Jordo. Wir beide allein schaffen das einfach nicht.« Vielleicht war das einer der Gründe, warum er und Jordan die Sache so lange verdrängt hatten – keiner von beiden hatte sich diese Tatsache eingestehen wollen.
Eine Stunde später kam Jordan mit roter Nase und einem erleichterten Lächeln aus dem Arbeitszimmer und streckte einen Daumen in die Höhe.
Ein paar Tage später hatte ihr Vater seinen ersten Termin bei einem Psychiater, der ihm ein Antidepressivum verschrieb, wöchentliche Sitzungen anordnete und ihm außerdem eine Selbsthilfegruppe empfahl. Die Veränderungen geschahen nicht über Nacht, doch langsam begann Kyle eine Rückkehr des alten Grey Rhodes zu erkennen. Zuerst war es nur eine sarkastische Bemerkung über die Anzahl der Lasagnen, die immer noch im Gefrierschrank lagerten. Dann folgte der Tag, an dem Kyle von einem Treffen mit Chuck nach Hause kam und sein Vater gerade mit der Nachbarschaftshilfe telefonierte, um die Kleidung seiner Frau zu spenden.
Kurz darauf saß Kyle abends in der Küche, aß etwas Asiatisches vom Lieferdienst und sah sich die Finanzen für August an, die man ihm geschickt hatte. Die Verkäufe der neuen Zusatzprogramme waren seit ihrer Veröffentlichung stetig angestiegen, und die Kundenrückmeldungen waren überwältigend positiv ausgefallen.
»Ist das der neueste Finanzbericht?«
Kyle war so überrascht, dass er sich fast an einer Garnele verschluckt hätte. Als er sich umdrehte, sah er seinen Vater vor dem Kühlschrank stehen. Wie lange er dort schon gestanden hatte, konnte Kyle nur raten.
Kyle schluckte die Garnele hinunter. »Ja.« Er nahm einen Schluck von dem Wodka mit Eis, den er sich eingegossen hatte, und versuchte lässig zu wirken, während sich sein Vater neben ihn setzte.
Grey Rhodes drehte sich mit einem Funkeln im Blick zu ihm um, das Kyle wiedererkannte. Er deutet auf den Bericht. »Vielleicht solltest du mir mal zeigen, was du den ganzen Sommer über mit meiner Firma getrieben hast.«
Kyle grinste. Gott sei Dank! Ohne ein weiteres Wort reichte er seinem Vater die Akte. »Wird auch langsam Zeit. Dieses Zeug zu lesen ist so spannend, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen.«
Sein Vater schmunzelte. Kopfschüttelnd sah er Kyle einen Moment lang an. Dann umarmte er ihn so fest, dass er dabei fast vom Sitzhocker rutschte. »Danke, mein Sohn«, sagte er mit erstickter Stimme.
»Gern geschehen.« Und auch Kyle stiegen die Tränen in die Augen.
Erwartungsgemäß war die Uni das nächste Thema, über das sein Vater reden wollte. »Ich weiß, dass deine Kurse vor ein paar Wochen wieder angefangen haben. Es ist wahrscheinlich an der Zeit, dass du dich wieder nach Champaign aufmachst.«
»Ich habe Professor Sharma schon angerufen und ihm gesagt, dass ich dieses Semester nicht zurückkommen werde.«
»Auf keinen Fall. Du hast dein Leben schon viel zu lange für mich aufgeschoben.«
Kyle hatte gewusst, dass dieser Moment früher oder später kommen würde – zumindest hatte er das gehofft –, und er hatte viel über seine Optionen nachgedacht. Er konnte nach Champaign zurückkehren und die nächsten paar Jahre in einem Maisfeld verbringen, um seinen Doktor zu machen. Oder er konnte an die Universität von Chicago wechseln, um in der Nähe seiner Familie zu bleiben, auch wenn das dortige Institut für Informatik keinen so guten Ruf hatte.
Und dann gab es noch Option C.
»Du hast recht – ich habe mein Leben zu lange aufgeschoben«, sagte er. »Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich meine Wahnsinnstalente mal anwende. Glücklicherweise kenne ich da einen
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