Wiedersehen mit Mrs. Oliver
Lippen zu bemalen, und ihr Vater hat es ihr streng verboten – ich auch. Und was tat sie, wenn sie einmal etwas Geld in die Hand bekam? Hat sich Parfüm und Lippenstift gekauft und alles vor uns versteckt.«
Bland nickte. Das würde ihm nicht weiterhelfen: Ein ziemlich törichtes heranwachsendes Mädchen, das nichts als Filmstars im Kopf hatte – es gab Hunderte von Mädchen wie Marlene.
»Ich weiß wirklich nicht, was ihr Vater sagen wird«, meinte Mrs Tucker. »Er muss jeden Augenblick hier sein; er freut sich schon auf das Gartenfest und auf die Kokosnussbude, weil er so gut zielen kann …«
Plötzlich brach sie laut weinend zusammen. Schließlich brachte sie schluchzend hervor: »Wahrscheinlich war es einer von diesen grässlichen Ausländern von der Jugendherberge, bei Ausländern kennt man sich ja nie richtig aus. Manche sind ganz nett und höflich, aber komisch angezogen. Die Hemden sollten Sie sehen. Hemden mit halbnackten Mädchen bedruckt, und manchmal liegen sie alle ganz ohne Hemd in der Sonne, so was kann ja nicht gut enden – das sag ich schon lange!«
Die noch immer weinende Mrs Tucker wurde von Hoskins aus dem Zimmer geleitet. Bland musste zu seinem Leidwesen feststellen, dass die Dorfbewohner, auch heutzutage noch, unbekannte Ausländer für jeden tragischen Vorfall verantwortlich machten.
10
» H at eine scharfe Zunge, Mrs Tucker«, berichtete Hoskins, als er zurück ins Zimmer kam. »Quält ihren Mann und tyrannisiert ihren alten Vater. Wahrscheinlich hat sie das arme Mädchen auch oft ausgezankt, und jetzt tut es ihr Leid. Obwohl sich Mädchen ja gar nichts daraus machen, von ihren Müttern abgekanzelt zu werden – es gleitet wie Wasser an ihnen ab.«
Kommissar Bland unterbrach Hoskins’ Betrachtungen und bat ihn, Mrs Oliver hereinzuholen.
Bland war etwas erstaunt über den Anblick, der sich ihm bot. Er hatte sich Mrs Oliver nicht ganz so üppig, so purpurrot und so erregt vorgestellt.
»Ich bin einfach außer mir«, sagte Mrs Oliver atemlos und versank in einem Lehnstuhl. »Einfach außer mir«, wiederholte sie.
Der Kommissar murmelte einige tröstliche Worte, und Mrs Oliver fuhr fort: »Weil es doch mein Mord ist. Ich habe alles auf dem Gewissen.«
Einen Augenblick dachte Kommissar Bland, dass Mrs Oliver sich selbst des Verbrechens bezichtigen wollte.
»Warum ich jemals die jugoslawische Frau des Atomwissenschaftlers zum Opfer auserkoren habe, wissen die Götter«, erklärte Mrs Oliver und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre komplizierte Frisur – mit dem Resultat, dass sie nun leicht betrunken wirkte. »Unvorstellbar dumme Idee! Es hätte ebenso gut der zweite Gärtner sein können, der eigentlich gar kein Gärtner war, dann wäre alles nur halb so schlimm gewesen, weil sich die meisten Männer verteidigen können, und wenn sie es nicht können, sollten sie es lernen. Und wenn es sich um einen Mann gehandelt hätte, würde ich mich nicht so entsetzlich aufregen – Männer werden nun einmal getötet, und es kräht kein Huhn und kein Hahn danach – natürlich mit Ausnahme ihrer Frauen, ihrer Geliebten und ihrer Kinder.«
In diesem Augenblick entstand in Kommissar Bland ein ungerechtfertigter Verdacht, der durch ein schwaches Aroma von Kognak, das von Mrs Oliver ausging, noch wesentlich bestärkt wurde. Hercule Poirot hatte bei ihrer Rückkehr ins Haus darauf bestanden, Mrs Oliver nach dem erlittenen Schock ein Glas Kognak einzuflößen.
»Ich bin weder irrsinnig noch betrunken«, sagte Mrs Oliver, die mit weiblicher Intuition die Gedanken des Kommissars erraten hatte, »obwohl dieser Mann herumläuft und behauptet, dass ich trinke.«
»Welcher Mann?« erkundigte sich der Kommissar, der versuchte, sich von dem unerwartet aufgetauchten zweiten Gärtner auf den unbekannten Mann umzustellen.
»Der Mann mit Sommersprossen und einem Yorkshire-Akzent«, erklärte Mrs Oliver. »Aber wie schon gesagt bin ich weder betrunken noch von Sinnen. Ich bin nur entsetzlich erregt und bestürzt.«
»Es muss ein grauenhafter Schock für Sie gewesen sein«, meinte der Kommissar verständnisvoll.
»Das furchtbarste ist, dass sie das Opfer eines Sittlichkeitsverbrechers werden wollte«, fuhr Mrs Oliver fort, »und wenn das nun wirklich der Fall war …«
»Von einem Sittlichkeitsverbrechen kann keine Rede sein«, versicherte der Kommissar.
»Wirklich nicht? Gott sei Dank! Oder vielleicht sollte ich das nicht sagen, weil ihr das lieber gewesen wäre … Aber wenn es kein
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