Wiedersehen mit Mrs. Oliver
noch durchgehen, obwohl wir hin und wieder einmal ein Exempel statuieren müssen.«
»Aber nur ausnahmsweise, nicht wahr? Auf jeden Fall stimmte Mrs Legge unserem Vorschlag zu, und wir mussten uns nach einer anderen ›Leiche‹ umsehen. Die Pfadfinderinnen haben bei den Vorbereitungen zum Fest geholfen, und irgendjemand schlug vor, eines der Mädchen als ›Opfer‹ einzusetzen.«
» Wer hat das vorgeschlagen, Miss Brewis?«
»Daran kann ich mich leider nicht mehr genau erinnern … es könnte Mrs Masterton gewesen sein, die Frau des Parlamentsabgeordneten … oder war es Captain Warburton? Nein, ich weiß wirklich nicht mehr, wer Marlene vorgeschlagen hat.«
»Wurde dieses Mädchen aus einem besonderen Grund gewählt?«
»Nein, ich glaube kaum. Die Familie Tucker hat ein kleines Anwesen von uns gepachtet, und Mrs Tucker hilft manchmal hier in der Küche. Aber ich weiß nicht, warum wir gerade Marlene gewählt haben. Wahrscheinlich, weil uns der Name bekannt war. Wir haben sie aufgefordert, und sie schien sich sehr darüber zu freuen.«
»Sie hat also freiwillig zugesagt?«
»Ganz bestimmt. Ich glaube, sie fühlte sich geschmeichelt. Sie war nicht besonders intelligent, und sie hätte auf keinen Fall eine komplizierte Rolle spielen können, aber das war ja eine ganz einfache Angelegenheit. Sie freute sich, wie gesagt, darüber, dass man gerade sie dazu auserwählt hatte.«
»Können Sie mir genau sagen, was sie zu tun hatte?«
»Sie hatte im Bootshaus zu bleiben. Wenn sie Schritte von draußen hörte, sollte sie sich auf den Boden legen, sich einen Strick um den Hals schlingen und vorgeben, tot zu sein.«
Miss Brewis sprach in ruhigem, sachlichem Ton. Die Tatsache, dass ein Mädchen, das vorgeben sollte, tot zu sein, tatsächlich tot aufgefunden worden war, schien sie nicht im geringsten aus der Fassung zu bringen.
»Ziemlich langweilig für das Mädchen, den Nachmittag allein im Bootshaus zu verbringen, anstatt beim Gartenfest mitzumachen«, meinte Bland.
»Das ist richtig, aber man kann nicht alles haben, nicht wahr?«, entgegnete Miss Brewis. »Es machte Marlene Spaß, die ›Leiche‹ sein zu dürfen, weil sie sich dadurch wichtig vorkam. Sie hatte einen Stoß von illustrierten Zeitschriften und Modeheften, mit denen sie sich die Zeit vertreiben konnte.«
»Und auch etwas zu essen, nicht wahr?«, fragte der Kommissar. »Ich sah im Bootshaus ein Tablett mit einem Teller und einem Glas.«
»Ja, sie hatte einen großen Teller voll Kuchen und ein Glas Himbeerlimonade. Ich habe es ihr selbst gebracht.«
Bland sah sie scharf an.
»Sie haben ihr das Tablett gebracht? Wann? Können Sie sich an die genaue Zeit erinnern?«
Miss Brewis überlegte einen Augenblick.
»Warten Sie … die Kostüme der Kinder sollten prämiert werden … es gab eine kleine Verzögerung, weil wir Lady Stubbs nicht finden konnten. Aber Mrs Folliat sprang für sie ein, und alles war in Ordnung … es muss also fünf Minuten nach vier gewesen sein, als ich den Kuchen und die Limonade holte.«
»Und Sie haben das Tablett selbst zum Bootshaus hinuntergebracht? Um welche Zeit kamen Sie dort an?«
»Bis zum Bootshaus sind es ungefähr fünf Minuten; ich muss also etwa um Viertel nach vier dort gewesen sein.«
»Und um Viertel nach vier war Marlene Tucker noch wohl und munter?«
»Ja, natürlich«, sagte Miss Brewis, »und sie wollte wissen, wie weit die Teilnehmer an der Mörderjagd seien. Leider konnte ich ihr das nicht sagen, weil ich bei den Buden auf dem Rasen beschäftigt war, aber ich wusste, dass sich viele daran beteiligten – zwanzig bis dreißig Personen, vielleicht sogar mehr.«
»Was tat Marlene, als Sie beim Bootshaus ankamen?«
»Das hab ich Ihnen doch gerade erzählt.«
»Nein, ich meine, ob sie bei Ihrer Ankunft auf dem Boden lag und vorgab, tot zu sein.«
»Nein, nein. Ich rief ihr von draußen etwas zu, und sie machte mir die Tür auf. Ich brachte ihr das Tablett und stellte es auf den Tisch.«
»Um vier Uhr fünfzehn war Marlene Tucker noch gesund und munter«, notierte Bland. »Sie sind sich wohl darüber klar, dass das ein sehr wichtiger Punkt ist, Miss Brewis? Sind Sie ganz sicher, dass es vier Uhr fünfzehn war?«
»Auf die Minute genau kann ich mich nicht festlegen, weil ich in diesem Augenblick nicht auf die Uhr gesehen habe, aber kurz davor tat ich es – mehr kann ich Ihnen nicht sagen.« Plötzlich begriff sie, was der Kommissar gemeint hatte, und sie fügte hinzu: »Sie glauben also, dass es
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