Wiedersehen mit Mrs. Oliver
kurz danach …«
»Sehr lange danach kann es nicht gewesen sein, Miss Brewis.«
»Ach du liebe Zeit«, sagte Miss Brewis. Es war ein etwas unzulänglicher Ausruf, aber er brachte ihre Bestürzung deutlich zum Ausdruck.
»Sind Sie auf Ihrem Weg zum Bootshaus oder auf dem Rückweg zum Haus irgendjemandem begegnet, Miss Brewis?« Miss Brewis überlegte.
»Nein«, sagte sie schließlich, »ich bin niemandem begegnet, obwohl so viele Menschen hier sind, aber die meisten blieben wohl auf der Wiese bei den Buden und Zelten. Einige haben sich den Gemüsegarten und die Treibhäuser angesehen, aber für den Park schienen sie sich nicht zu interessieren. Bei solchen Festen neigen die Leute offenbar dazu, sich ins dichteste Gedränge zu stürzen.«
Der Kommissar stimmte zu.
»Jetzt fällt mir plötzlich ein, dass jemand im Folly war«, erklärte Miss Brewis unvermittelt.
»Im Folly?«
»Ja, in dem kleinen, weißen Tempel, einer Art Sommerhäuschen, das erst vor ein oder zwei Jahren gebaut wurde. Es liegt auf der rechten Seite des Wegs, der zum Bootshaus führt. Dort ist jemand gewesen – wahrscheinlich ein Liebespaar. Ich hörte Lachen, dann sagte jemand ›Pst‹.«
»Sie wissen nicht, wer dieses Liebespaar war?«
»Keine Ahnung. Man kann die Vorderseite des Folly vom Pfad aus nicht sehen. Die Seitenwände und die Rückseite sind gemauert.«
Der Kommissar überlegte einen Augenblick, aber er hielt das Liebespaar im Folly – wer immer es gewesen sein mochte – für unwichtig. Trotzdem war es vielleicht besser, die Identität des Paares festzustellen, weil sie unter Umständen gesehen haben konnten, wer das Bootshaus betreten oder verlassen hatte.
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie keinen Menschen auf dem Weg getroffen haben?«, beharrte Bland.
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, erwiderte Miss Brewis, »und ich kann Ihnen nur nochmals versichern, dass ich niemanden gesehen habe. Andererseits wäre es für jeden, der nicht von mir gesehen werden wollte, die einfachste Sache von der Welt gewesen, sich schnell hinter den Rhododendronbüschen zu verbergen. Der Weg ist auf beiden Seiten mit Hecken und Rhododendron eingefasst.«
Der Kommissar begann eine andere Spur zu verfolgen.
»Wissen Sie irgendetwas über das Mädchen, was uns weiterhelfen könnte?«
»Ich kenne sie so gut wie gar nicht, und bis zu diesem Gartenfest habe ich, soviel ich weiß, noch nie ein Wort mit ihr gewechselt. Bis dahin war sie mir nur vom Sehen bekannt.«
»Sie wissen also wirklich nichts über sie – gar nichts?«
»Ich wüsste keinen Grund – wenn es das ist, was Sie meinen –, warum irgendjemand die Absicht gehabt haben könnte, sie zu ermorden«, antwortete Miss Brewis. »Ich finde es noch immer ganz unfassbar, dass es sich wirklich ereignet hat. Ich könnte mir höchstens denken, dass sich die Vorstellung eines vorgetäuschten Mordes in irgendeinem Hirn zur Wirklichkeit verdichtet hat … aber auch das klingt eigentlich dumm und an den Haaren herbeigezogen.«
Bland seufzte.
»Also, dann werde ich wohl jetzt mit der Mutter sprechen müssen.«
Mrs Tucker war eine magere Frau mit einem scharfgeschnittenen Gesicht, strähnigem blondem Haar und einer spitzen Nase. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet, aber sie hatte sich wieder in der Gewalt und war bereit, die Fragen des Kommissars zu beantworten.
»So etwas sollte nicht passieren«, sagte sie. »Man liest solche Sachen in der Zeitung, aber dass unsere Marlene –„
»Es tut mir ganz entsetzlich Leid«, unterbrach Kommissar Bland sie sanft. »Ich möchte Sie jetzt nur bitten, scharf darüber nachzudenken, ob es irgendjemanden gibt, der einen Grund hätte haben können, dem Mädchen ein Leid anzutun.«
»Darüber hab ich schon nachgedacht«, erwiderte Mrs Tucker und begann zu schluchzen. »Ich hab mir den Kopf zerbrochen, aber mir fällt niemand ein. Der Lehrer in der Schule hat sie manchmal ausgeschimpft, und sie hat sich wohl auch einmal mit einem der anderen Jungen oder Mädchen gezankt, aber nichts Ernsthaftes, bestimmt nicht. Keiner hat etwas gegen unsere Marlene gehabt, keiner hatte einen Grund, ihr etwas anzutun.«
»Sie hat Ihnen gegenüber niemanden erwähnt, der sie nicht leiden konnte oder gar ihr Feind war?«
»Marlene hat oft dummes Zeug geredet, aber nicht über so etwas. Immer nur über neue Frisuren und Kleider, und was für Puder und Lippenstift sie benutzen wollte – Sie wissen ja, wie junge Mädchen sind. Dabei war sie noch viel zu jung, um sich die
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