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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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erwartungsvoll stehen blieb, fiel ihr eine irritierende Episode der vergangenen Woche ein.
    Sie hatte sich bei einer der Soireen mit dem Hund ereignet, der kurzatmig vor dem Prinzen Stellung bezogen hatte. Kein Lockruf der Fürstin konnte das Tier dazu bringen, sich von den blank gewienerten Stiefeln Wilhelm Ludwigs abzuwenden, an denen es mit seinen unsäglichen Augen emporsah, als gäbe es dort ein Mysterium zu entdecken. Der Prinz schließlich hatte sich gebückt, das keuchende Tier aufgehoben und es der Fürstin in die Hände gegeben. Elsa, die in seiner Nähe gestanden hatte, bemerkte, wie der Prinz den Blick der Fürstin suchte, und sie meinte ihn erröten zu sehen, als er ihn fand. Unschuldig übrigens und nichts als heiter vonseiten der Fürstin, so hatte sie es wahrgenommen. Damit war auch jener ziellose, impulsive Verdacht erloschen, der sich rätselhafter Weise eben wieder in Erinnerung brachte. Es musste ihre Empfindsamkeit sein, die ihr so etwas ganz und gar Hirnverbranntes wie Eifersucht diktieren wollte, sie wollte sich dem keinesfalls beugen. Tatsächlich konzentrierten sich auf die junge, schöne Fürstin, das wusste der ganze Hof, die bizarrsten Fantasien. Elisabeth Ludovika beispielsweise, die Schwägerin Wilhelm Ludwigs, bezichtigte, so hörte man, ihren Gatten immer wieder aufs Neue, eine leidenschaftliche Affäre mit ihr zu haben, zumal allgemein bekannt war, wie sehr sie darunter litt, noch kein Kind empfangen zu haben. (Was in Wahrheit einer fatalen Impotenz des Kronprinzen geschuldet war, von der allein Hufeland wusste und schwieg.)
    Elsa griff nach dem Opernglas. Nahezu der ganze Hof war da und ansonsten alles, was Rang und Namen hatte.

    Im Oval des Zuschauerraums entdeckte sie ihren Vater, der neben Professor Hähnlein und seiner Frau in den roten Plüschsesseln des Parketts saß, zweifellos gute Plätze, aber eben doch keine Loge. Als könnte er ihre Gedanken hören, sah Clemens auf. Sie winkte ihm zu und schämte sich.
    Ihr Vater brachte es fertig, ohne eine Spur von Eitelkeit dem Stolz über seine schöne, namhafte Tochter mit einem Lächeln Ausdruck zu verleihen, während Hersilie Stopfkuchen an seiner Seite mit ihrer turmhohen Haarpracht ganz und gar ins Schwitzen geriet.
    Ob er wusste, dass Helene nicht kommen würde? Ihr Platz neben ihm war leer und würde es bleiben. Bis zuletzt hatte Helene Zweifel gehabt, ob sie ihrem Vater die Wahrheit zumuten konnte.
    Elsa setzte sich und öffnete den Fächer. Es rührte sie, Helene verliebt zu wissen, und sie war überzeugt, dass sie in Finlay Gordon auf Anhieb dem richtigen Mann begegnet war.
    Unverkennbar Helene. Ohne Umwege direkt zum Ziel.
    »Ich weiß nicht, warum ich meine, mich mit ihm möglichst außerhalb Berlins treffen zu müssen«, hatte sie gesagt.
    »Das weiß ich auch nicht«, hatte Elsa geantwortet, »aber ich hoffe, die Gründe deiner Erwägungen sind leidenschaftlicher Natur.«
    Helene hatte sie angesehen, als zweifelte sie ernsthaft an ihrem Verstand.
    »Du musst dich nicht schämen deswegen.«
    »Ich schäme mich nicht. Jedenfalls für nichts, was meine Empfindungen für Finlay anbelangt.«
    »Gut. Damit bist du schon sehr weit.«
    »Liebst du jemanden?«

    Statt einer Antwort hatte Elsa sich ihres neu erworbenen Fächers aus Pfauenfedern bedient und war ihr ausgewichen.
    »Wirst du eine Droschke zahlen können? Falls nicht, gebe ich dir das nötige Geld. Triff dich in Potsdam mit ihm, und lass die Droschke warten. Nichts wird wichtiger sein als die Gewissheit, jederzeit gehen zu können.«
    Helene, bis dahin eher düster als aufgeregt, hatte sie mit ehrlicher Überraschung gemustert. »Ist es normal, bei einem ersten Rendezvous auf der Stelle an Flucht zu denken?«
    Elsa lachte lautlos hinter ihrem Fächer.
    Womöglich empfing Helene in Finlays Armen gerade eben einen ersten Kuss.
    »Rein gar nichts ist normal bei einem ersten Rendezvous«, hatte sie geantwortet und ihr das Hotel de Prusse am Kanal empfohlen, wo man einen öffentlichen Tisch hielt. Wilhelm Ludwig begab sich zuweilen dorthin, wenn ihm nach Wild war mit Preiselbeeren. Eine Empfehlung aus seinem Munde weiterzuleiten, und mochte sie noch so profan sein, ließ sie heimliche Vertrautheit empfinden.
    Sie schrak zusammen, als plötzlich Applaus einsetzte. Das Opernpublikum erhob sich, um die königliche Familie zu begrüßen.
    Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn an der Seite seiner Verlobten zu sehen. Wie ausgesprochen gedankenlos. Bislang war sie von ihrem

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