Wiegenlied Roman
schwebender Schmetterling.
Sie genoss das Raunen, das sie umgab, wo auch immer sie ging. Jedes Wort, das über ihre Schönheit, ihr anerkennenswertes Talent und die außergewöhnliche Eleganz ihrer Toilette fiel, sog sie mit tiefer Befriedigung auf, es jagte ihr Schauer den Leib hinab und versetzte sie in eine Euphorie, die sie glauben ließ, alles ertragen zu können.
Die Vorhalle, wo das Licht der Lüster sich funkelnd in den geschliffenen Glastüren brach, die hellen Korridore, von denen filigrane Wendeltreppen zu den Logen führten, die verschwenderische Verwendung von Blattgold an Handläufen, Türen, Wandtäfelungen und Pfeilern - dies alles empfand Elsa als Kulisse einer imposanten Inszenierung ihrer selbst. Niemals würde sie darauf verzichten wollen. Zumindest so lange nicht, wie man ihr so offensichtlich derart gern dabei zusah. Und wenn sie an die Stich dachte, die derzeit
in Dresden die Minna von Barnhelm gab, so hatte sie noch mindestens fünfzehn fantastische Jahre vor sich.
Hersilies Schneiderin hatte an Elsas Robe für das Paganini-Konzert ihr Meisterstück vollbracht, und nachdem man sich auf Schulterfreiheit und gemäßigte Ärmelformen (die derzeit ins Keulenhafte spielten, was selbst die schlanken Figuren breit wie hoch wirken ließen) geeinigt hatte, umspielte nun ein duftiges Gebilde von puderfarbenem Atlas Elsas Gestalt aufs Schönste. Die Krönung des Ganzen war eine Pelzboa - le dernier cri aus Paris -, die Hersilie von einer Reise mitgebracht worden war und die sie ihr ohne Wenn und Aber überließ, kaum dass Elsa sie einmal zur Probe umgelegt hatte.
Und auch Eveline schließlich hatte ihr Bestes gegeben und mindestens eine Stunde damit zugebracht, Elsas hochfrisierte Lockenbündel mit silbernen Sternenblüten zu schmücken, was beinahe zu einem Zerwürfnis mit Madame Stopfkuchens Coiffeur geführt hatte, der sich die Dekoration seines Kunstwerks auf Elsas Kopf nicht aus der Hand nehmen lassen wollte. Doch Elsa setzte sich durch, denn der Mann frisierte zwar gut, hatte aber einen fatalen Hang zu Federn und Rüschen. Gekränkt, hatte er sich an Hersilie austoben dürfen, die nun in der Oper mit einer Art Vogelvoliere auf dem Kopf den hinter ihr sitzenden Personen die Sicht rauben würde.
Im Grunde war Hersilie Stopfkuchen bereit, alles für Elsa, »das Kind«, hinzugeben, um sie auf diese Weise ein wenig auch zu ihrem Geschöpf zu machen. So nahm sie es mit unendlichem Stolz zur Kenntnis, dass eine hübsche schokoladenbraun lackierte Equipage, in der sie eine Kutsche des Hofes zu erkennen meinte, Elsa abholte und die wenigen Schritte zum Opernhaus fuhr.
Elsa indessen empfand sich umso mehr als Solitär. Das Billett für das Konzert war ihr grußlos zugestellt worden, und natürlich wusste sie, dass es von Wilhelm Ludwig kam. Es würde sich also eine weitere von inzwischen vielen Begegnungen vor den Augen des Hofes ergeben, in der sie das vibrierende Geheimnis ihrer Liebe genoss. Nichts konnte sie derzeit so nachhaltig berauschen wie jene Momente, in denen sich ihre Blicke wie beiläufig streiften und für den heftigen Bruchteil einer Sekunde aneinander festsogen, um dann weiterzugleiten auf irgendeinen beliebigen Gegenstand oder eine Person, die nicht das Geringste ahnte. Elsa hatte die faszinierende Erfahrung gemacht, dass gerade in den öffentlichen Augenblicken die intimsten Details ihrer Erinnerung aufflammten. Als etwa eines Abends im Kaminfeuer des Chinesischen Zimmers ein Holzscheit krachend zerbarst und einige Damen vor echtem oder falschem Schrecken aufschrien, hatte Elsa daran denken müssen, wie sich in der Nacht zuvor die Lippen des Prinzen von ihrer Halsbeuge auf die Reise zu ihrem Lendenwirbel begeben hatten. Über dem Heiligen See war indessen ein ruppiger Regen niedergegangen. Kaum jemals hatte sie die Plauderabende des Königs derart melancholisch empfunden wie jetzt im November, da sie vor den Kaminen des Königlichen Palais stattfanden und neuerdings immer, immer in Anwesenheit Wilhelm Ludwigs. Auch die Fürstin war verlässlich zugegen, mit ihrem Hund Männchen, der ebenso hässlich wie entzückend war.
Ein livrierter Theaterdiener öffnete Elsa die goldglänzende Tür zur Loge und geleitete sie durch den orientalischen Luxus des kleinen Salons zu ihrem Fauteuil an der samtenen Brüstung, wo nichts als ein Opernglas auf sie wartete.
Die gegenüberliegende königliche Loge war noch verwaist unter der mit einer Krone verzierten Kuppel, und während Elsa
Weitere Kostenlose Bücher