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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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Anblick verschont geblieben, eine Gnade, mit der sie nicht länger rechnen durfte. Es schmerzte erschreckend. Die Prinzessin mochte kindlich wirken, doch sie war eine Schönheit, und sie betete Wilhelm Ludwig an.
    Elsa zitterten die Knie. Sie suchte Halt an der Brüstung.
    Starr erwiderte sie den dezenten Gruß des Königs, dessen Stimmung bewölkt schien, doch das bedachte sie erst später.
Umrahmt von den korinthischen Säulen der Loge, wechselte Wilhelm Ludwig indessen einige launige Worte mit seinem Bruder, dem Kronprinzen. Dann wieder wandte er sich seiner Braut zu, die ihm etwas zu sagen hatte. Ihre sicherlich sehr geistreiche Bemerkung erwiderte er mit einem amüsierten Lächeln. Sein blondes und ihr schimmernd schwarzes Haar bildeten einen hinreißenden Kontrast, als sie die Köpfe zusammensteckten. In den Salons würde man sich morgen begeistert davon erzählen.
    Kein einziger noch so flüchtiger Blick.
    Es wurde still im Saal, und aus der Rampe stiegen Hunderte von Lichtern auf, während Elsa mit den Tränen kämpfte.
    Nicht das leiseste Hüsteln war zu vernehmen, als Paganini die Bühne betrat. Atemlos starrten die Berliner den dürren, langhaarigen Menschen an, der sich im überbordenden Prunk des Konzertsaals wie ein schwarzer Heuschreck vor ihnen in Positur brachte. Während der Italiener die Geige ans Kinn hob, vollkommen in sich versunken, schien es, als blickte er ihnen doch ganz im Geheimen in die Seelen.
    Als Niccolò Paganini weit mit seinem Bogen ausholte, um dann mit dem ersten Ton seines h-Moll-Konzerts jedes einzelne Herz im Saal zu rühren, begann Elsa vor allen anderen zu weinen.

    Sidonie saß am Herdfeuer in der Küche neben dem Fräulein, das sich sehr interessiert an ihr zeigte. Sie beide waren dazu verdonnert, hier unten zu sitzen, während da oben etwas vor sich ging, von dem sie beide nur eine vage Ahnung hatten.

    Nelly schlief unbekümmert in der Wiege, nachdem Sidonie ihr unter den neugierigen Augen des Fräuleins die Brust gegeben hatte.
    »Nennen Sie mich Hermine«, hatte sie gesagt. »Wie heißen Sie?«
    Helene hatte ihr eingeschärft, nichts über ihre vormalige Profession zu sagen, doch gerade das reizte sie ungeheuerlich, je länger sie dieser wohlerzogenen Person gegenübersaß. Wenn sie ihr nur von Lulas oder Perditas vertrackten Leidenschaften erzählen könnte oder welche Schweinigeleien die magere Wanda und Ponny beim Frühstück im Salon über ihre Freier austauschten. Alter Hosenschuster, sie hatte große Lust, sie außer Fassung geraten zu sehen!
    »Sie lachen?«
    »Ich denke nur gerade an was, aber das sollte Sie verdammich nicht kümmern.«
    »Verdammich«, echote das Fräulein. »Sie haben eine göttliche Art, sich auszudrücken.«
    Beide hoben den Kopf, als über ihnen ein erstickter Laut zu hören war.
    Sidonie trieb es die Milch aus den Brüsten.
    »Gute Güte.« Fasziniert sah das Fräulein ihr zu, wie sie ein Leintuch von der Stuhllehne nahm und es sich unter das nasse Hemd stopfte. »Erstaunlich, was die Natur alles auszurichten vermag!«
    »Sind Sie so was wie eine Bedienstete für die da oben?«
    Die Frage brachte das Fräulein zum Lachen.
    »Nur mittelbar«, entgegnete sie. »Ich diene nicht ihr persönlich.«
    Sie beugte sich vor. In ihren blauen Augen fingen sich die Funken des prasselnden Herdfeuers.

    »Tatsächlich kenne ich sie nicht. Die Dame, der ich diene, bat mich, ihr für heute beizustehen.«
    »Und wer Ihre Herrin ist, werden Sie mir nicht sagen.«
    »Das versteht sich von selbst.«
    »Klingt nach einem verdammten Staatsgeheimnis.«
    Das Fräulein lehnte sich zurück.
    »Sind Sie verheiratet?«
    Sidonie stand auf, nahm die Kruke Dunkelbier vom Sims des Herdfeuers und trank einen Schluck. Es würde ihren Milchfluss anregen, hatte Helene gesagt.
    »Schätze, das geht Sie nichts an.«
    »Ich wollte Sie nicht kränken, verzeihen Sie.«
    Ein atemloser Schrei ließ das Fräulein aufspringen.
    Sie lauschten auf Helenes hin- und forteilende Schritte, bis sie, wie erwartet, von oben nach heißem Wasser rief.
    »Ich mache das«, sagte das Fräulein.
    Sie riss ihren Umhang vom Stuhl, um sich die Finger nicht zu verbrennen, und wuchtete den Kessel vom Herdfeuer, eine Tätigkeit, die sie mit tödlicher Sicherheit zum ersten Mal in ihrem Leben verrichtete.
    Sidonie ließ sie nur allzu gern gewähren. Sie leuchtete ihr, bis sie das Ende der Stiege erreicht hatte. Sobald das Fräulein in der Kammer verschwunden war, hastete sie zu der mit Blumen bestickten

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