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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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nervenschwache Intendant die Verlängerung des Gastspiels der Stich in Petersburg dazu nutzen, sie ein weiteres Mal prominent zu besetzen, denn das Käthchen hatte ihnen beiden großes Lob eingebracht.) Ihre Absicht bereitete sie damit vor, dass sie der Habermann hin und wieder freundlich zunickte, wenn sie in den Bühnenkulissen auf einen ihrer wenigen Einsätze wartete - es war ein probates Mittel, um sich ein Bild zu machen, dem sie lange genug selbst ausgesetzt war. Es galt hiermit eine Antwort auf die Frage zu erhalten, wie eine Person sich verhielt, wenn sie unvermutet die Aufmerksamkeit einer höher Gestellten auf sich gerichtet sah. Würde sie figurieren oder sich unterwürfig geben? Würde sie auf ein Bündnis hoffen und vertraulich tun?
    Die Habermann, ein dralles Blondchen, an der Elsa ein Talent für das komische Fach bemerkte, tat nichts von alledem.
Sie wartete ab, so wie Elsa es nach ersten demütigenden Erfahrungen am Darmstädter Hoftheater auch stets getan hatte, und dass sie immerhin eine Übereinstimmung zwischen sich und jener fremden jungen Frau entdecken konnte, der sie nichts weniger als ihre Zukunft in die Hände legen würde, gab letztendlich den Ausschlag.
    Es stellte sich heraus, dass die Habermann Studenten kannte, auch solche der Medizin, von denen sie wusste, dass sie beinahe alles dafür taten, um sich ausprobieren zu dürfen. Sie würde sich umhören, sagte sie und hatte innerhalb einer erstaunlichen Spanne von nur vier Tagen einen Kandidaten. Er studierte in Dresden, hieß es, und war nur zu einem Gastsemester in Berlin, daher habe er weniger Scheu, die gewagte Traktion vorzunehmen.
    Seine Anweisungen erhielt Elsa in zwei versiegelten Briefen, was sie sehr abenteuerlich fand. Offensichtlich hatte der Kandidat ebenso wie sie die Befürchtung, erkannt zu werden, denn er bestand auf einer Maskierung. Weder sollte sie sein Gesicht sehen können noch er das ihre. Er wollte auch vermeiden zu sprechen, damit man sich nicht in kompromittierender Weise bei anderer Gelegenheit an der Stimme erkannte. Damit sie sich vorbereiten konnte und nicht in unpassenden Momenten in Angst geraten würde, ließ er sie das nötigste Wissenswerte mit offensichtlich verstellter Schrift in den Briefen wissen, die er durch die Habermann übermitteln ließ.
    Ein Hausknecht würde Elsa von der Kirche in der Klosterstraße, wo sie eine Mietdroschke warten lassen sollte, zu dem Haus bringen, dessen Besitzerin sich für alles und jedes bezahlen ließ und sich nicht im Geringsten dafür interessierte, warum verschleierte Personen ein Zimmer für eine Nacht mieteten.

    Zur Wahl seiner Mittel, wie der Kandidat es nannte, hatte er von Elsa wissen wollen, wie lange das Monatliche ausgeblieben und ob es ihre erste Schwangerschaft war.
    Er wies sie an, von nun an täglich ein lauwarmes Sitzbad zu nehmen, was dazu führte, dass Hersilie Stopfkuchen in größter Sorge wegen Elsas Verkühlung der Bauchorgane war. Am festgelegten Tag sollte sie sich eine Stunde vor ihm in dem betreffenden Zimmer einfinden und maßvoll Alkohol zu sich nehmen, am besten Branntwein. Ihr dürfe keinesfalls übel werden, das Trinken solle ihr nur ermöglichen, eine gewisse Gleichmut zu empfinden. Für die Ausführung der Operation sei diese unbedingt vonnöten.
     
    In der Nacht des verabredeten Tages trug Elsa unter ihrem Umhang das einfachste ihrer Kleider, eines aus lose fallendem Kattun, doch allein wegen ihres vollkommen verschleierten Gesichts unter dem sittsamen Schutenhut wäre sie in der ärmlichen Gasse dieses verrufenen Teils von Berlin aufgefallen, wenn die Dunkelheit sie nicht geschützt hätte.
    Nach nur wenigen Schritten, die sie, dem Unrat ausweichend, hinter zwei Frauen herging, die am Arm ihrer Begleiter laut schwatzend auf ihre Quartiere zustrebten, ertappte Elsa sich dabei, wie sie ihre Gangart kopierte. Sie konzentrierte sich darauf, das Geschehen wie ein düsteres Bühnenstück wahrzunehmen, in dem das betrunkene Gesindel auf der Gasse, die Männer mit ihren rohen Reden und der hinkende Junge, der mit ihrer geblümten Tasche und einer Laterne in den Händen voranging, nichts als Statisten waren.
    In den Fenstern des Hauses, das in einer Reihe von anderen an der alten Stadtmauer lehnte, als müsste es sonst zusammenstürzen,
gaben zwei Lampen ein vages Versprechen von Wärme und Geborgenheit. Dann öffnete die Hausherrin die Tür. Es war eine ältliche, grell aufgeputzte Person, deren zerfallene Frisur ein längliches

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