Wiegenlied Roman
auch du, meine liebste Tante, und Moritz, dieser herzergreifende Mensch, und besonders Schröder, die so erfrischend sachlich in allem ist. (Hingegen rede ich nicht von Cecilie, die mich zweifellos nicht leiden kann und ich sie schon gar nicht.)
Was ich dir erklären will, damit du es bitte und hoffentlich verstehen wirst, ist, dass mich schlimmste Ahnungen befielen, als Moritz derart ernst und liebevoll ein Gespräch ankündigte, das er mit mir unter vier Augen führen wolle. Bei einem abendlichen Spaziergang am See! Ich weiß, Malvine, dir schlägt das Herz hoch, wenn du das liest, weil es genau das ist, was du dir für mich wünschst. Doch die bittere Wahrheit ist: Ich wünsche es nicht.
Wirst du mich trotzdem weiter lieben?
Ich frage dich das trotz meiner Heimtücke, mit der ich durch scheinheilige Fragen an die Kammerzofe herausfand, dass es im Dorf eine Poststation gibt, an der die Kutsche von Strelitz nach Berlin die Pferde wechselt. Und gestern Abend, als du mit Moritz den Ausflug nach Krebswalde geplant hast, habe ich mich innerlich beglückwünscht und zeigte mich begeistert. Den Rest muss ich dir nicht erklären, oder doch?
Als ich heute früh vom Fenster aus beobachtete, wie Moritz dir in den Landauer half, klingelte ich nach dem Mädchen und ließ meine Unpässlichkeit ausrichten. Ihr wart so gut und seid meinem Wunsch folgend die Partie zu den Seen ohne mich angetreten.
Möglicherweise sah mich Cecilie, als ich mit kleinstem Gepäck das Gut verließ, doch selbst wenn, so konnte ich sicher sein, dass sie mich nicht aufhalten würde.
Wenn Gott will, von Herzen geliebte Malvine, werde ich, was ich in diesen Wochen durchlebte, in eine meiner Rollen tragen können, und wenn es mir gelingt, wirst du der einzige Mensch sein, der weiß, warum.
Ewig deine Elsa.
Auf den flachen Wellen des Sees glitzerte das rötliche Licht des frühen Abends, und die Vögel sangen wie verrückt. Sie klangen aufgeregt, beinahe schrill, aber das kam Malvine, die am offenen Fenster stand, vermutlich nur so vor in Anbetracht dessen, was sie jetzt hinter sich zu bringen hatte, und zwar in einer Weise, die niemandem schaden sollte, vor allem Elsa nicht. Sie biss sich auf die Lippen, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte und keinen Fächer zur Hand hatte. Wieder und wieder faltete sie den Brief, der von einem Jungen aus dem Dorf gebracht worden war, und zwar nur dieser eine, sie hatte sich versichert.
Wie gut Elsa daran tat, die Geschicke ihrer Verbindung zu Moritz von Vredow in ihre, Malvines, Hände zu legen! Sie musste der Stimme eines verborgenen Instinkts gefolgt sein. Nicht auszudenken, was sie mit allzu ehrlichen Äußerungen ihres aufgewühlten Gemüts hätte anrichten können. Denn so ausschließlich wie Elsas Streben sich auf das Bühnenleben richtete, konnte sie bedauerlicherweise nicht erkennen, wie grandios sie zu diesem hinreißenden Menschen passte.
Als vehemente Verfechterin der Liebesheirat hatte Malvine die eigenen Töchter dazu erzogen, ihre Herzen den geeigneten Männern zu öffnen, und sie war entschlossen, das Gleiche für Elsa zu erreichen. Daher dachte sie nur ungern an das beunruhigende Gespräch mit Doktor Steinhausen zurück, einem, wie sie fand, ansonsten durchaus angenehmen Mann.
Als sie ihn vor mehr als zwei Wochen zu Elsas heftigen Fiebern befragte, hatte er sie mit der Antwort verstört, dass allein seine langjährige Verbundenheit mit der Familie des Barons ihn davon abhielte, beim Kreisphysikus Meldung zu erstatten, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Mit einer leichten
Berührung ihres Ellbogens hatte er sie vom Krankenbett zu den Erkerfenstern dirigiert und sie mit gesenkter Stimme wissen lassen, dass an Elsa ein Abort vorgenommen worden war. Es stünde zu vermuten, dass sie in die Hände einer Winkel-Hebamme geraten war, von denen in Berlin - allein schon wegen der Lohnhuren und Mätressen - nicht eben wenige ihr schändliches Handwerk betrieben. Malvine hatte sich setzen müssen, so wie sie sich auch jetzt auf der gepolsterten Erkerbank niederließ.
Einzig die Äußerung Steinhausens, dass weder der Baron noch sonst jemand auf dem Gut das Geringste ahnte, hatte sie die Nerven behalten lassen. Sie hatte dem Arzt eine ernste Unterredung mit Elsa versprochen und diese dann doch nicht führen können. Es war und blieb ihr unmöglich. Am liebsten wollte sie sich nicht einmal in Gedanken damit befassen, was Elsa getan hatte.
Als Malvine aufstand, entdeckte sie unten im Garten
Weitere Kostenlose Bücher