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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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in wenigen Minuten lebhaft, doch ohne Überschwang
ihren Herzenswunsch vorzutragen, während Hufeland sich in seinem Sessel vorbeugte und der König, neben dem Whisttisch der Voß sitzend, die Stiefelspitze am Fuß seines gestreckten Beins betrachtete. Zum Ende ihres Vortrags signalisierte er mit einem Nicken, dass er ihr zugehört hatte, und Hufeland lehnte sich wieder zurück. Seitdem befanden sich Hähnlein und von Orth mit dem Minister für Medizinalangelegenheiten im Disput.
    »Eine Frau zur Universität zuzulassen - und sei es nur in der Bewilligung einer Ausnahme - halte ich für gefährlich«, ließ der Minister soeben hören. »In dieser Sache nachzugeben könnte eine Mode einreißen lassen. Was für ein Gedanke, wer noch alles plötzlich die Berufung zum Studium in sich zu fühlen glaubt!«
    »Ich bin der Überzeugung, dass es unter den Frauen so manche gibt, die zu einem akademischen Studium befähigt sind«, sagte Professor Hähnlein bedächtig. »Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, dass man ihnen auf Dauer nicht das Recht absprechen können wird, an einer Universität zu studieren.«
    Der Minister umklammerte die Lehne des Armstuhls, als müsse er sich beherrschen, nicht aufzuspringen.
    »Ist Ihnen denn nicht klar, meine Herren, wie sehr wir das Niveau des akademischen Studiums gefährden, wenn wir unsere Universitäten den Frauen öffnen!«, rief er aufgebracht in die Runde. »Wir sollten uns mit aller Entschiedenheit dagegen verwahren, anstatt solcherlei Einflüssen auch noch eigenhändig den Boden zu bereiten!«
    »Diese heraufbeschworenen Gefahren scheinen mir doch mitunter etwas rätselhaft«, sagte von Orth, als spräche er mit einem verängstigten Kind. »Denken Sie nur an die Astronomin
Maria Kirch, verehrter Herr Staatsminister, falls Sie sich ihrer erinnern möchten. Weil man sie zum Studium nicht zulassen wollte, war sie an der königlichen Akademie zuerst Assistentin ihres Mannes und nach seinem Tode die ihres Sohnes. Anno 1702 entdeckte sie einen bis dahin unbekannten Kometen. Kein Geringerer als Leibniz war ein glühender Verehrer ihres brillanten Geistes.«
    Professor Hähnlein berührte flüchtig seine Rocktasche, in der sich vermutlich seine Pfeife befand, die er zu entzünden sich sehnte. Vielleicht fragte er sich, ob die süffisante Belehrung seines Kollegen, der zweifellos in den Aktensammlungen der Universität nach Präzedenzfällen gesucht haben musste, zum gewünschten Ziel führen würde.
    »Man hätte durchaus keinen Niedergang des Niveaus zu befürchten, wenn Frauen die gesetzlich bestimmten Vorbedingungen erfüllen wie jeder andere Student«, sagte er. »Bei Fräulein Heuser konnten wir uns davon überzeugen, dass dies der Fall ist.«
    Helene sah den reservierten Blick des Königs auf sich gerichtet, während von Orth sich ein weiteres Mal an den eisig schweigenden Staatsminister wandte.
    »Wer weiß, ob nicht der Einfluss gebildeter Damen auf das Benehmen unserer Studenten ein durchaus vorteilhafter sein kann? Und ja, ich kann bestätigen, dass Fräulein Heusers Vorbildung und Praxis allen Anforderungen mehr als genügt.«
    »Sollte eine Frau naturgemäß nicht andere Interessen haben?«
    Der König richtete seine grüblerische Frage an Hufeland.
    »Sollte sie nicht ausschließlich Gehilfin des Mannes sein?«
    »Nun, wir wissen von dieser jungen Dame, dass sie sich
als Gehilfin ihres Vaters durchaus verdient gemacht hat«, sagte Hufeland. Er setzte sich auf, was ihm Schmerzen zu verursachen schien, und schlug ein Bein über das andere, sodass er ausschließlich dem König zugewandt war.
    »Ihre Interessen sind, jenseits dessen, was die Natur ihr zugeschrieben hat, davon geprägt worden, dass sie Mutter und Vater eine gelehrige Tochter war.«
    »Warum es nicht dabei belassen?«, fragte der König.
    Es herrschte vollkommene Stille, als die Professoren Hähnlein und von Orth sowie der Minister für Medizinalangelegenheiten begriffen, dass der König, der offenbar seine Rolle als Hörer aufzugeben gedachte und dessen Entscheidungsunfreudigkeit vielfach in wahrhaftig bedeutenderen Fällen zum Tragen gekommen war, sich auf das Votum seines Leibarztes verlassen würde.
    Helene sah Hufeland dabei zu, wie er, seine Antwort vorbereitend, den Kopf hin und her wiegte.
    »Wie können wir wissen, was die Bestimmung eines einzelnen Menschen ist, der sich in so vielem von einem anderen unterscheidet? In Geist und Gemüt, in Temperament und Charakter? Was, wenn man dieser Frau

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