Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
Vom Netzwerk:
aufgrund ihrer Begabung die einmalige Gelegenheit eines akademischen Studiums eröffnen würde, um sich selbst zu prüfen?«
    »Was bedeutet?«
    »Man ließe sie studieren ohne Immatrikulation. Sie wird sich zu absoluter Dezenz verpflichten. Privaten Unterricht von Lehrern erhalten, die sich bereit dazu finden. Sie wird den Dienst einer Hebamme an der Charité versehen und die übliche Studiengebühr entrichten. Promovieren, warum nicht, wenn man sie für fähig hält. Ihr wird nicht gestattet sein, den Titel eines Doktors der Medizin zu tragen. Den Beruf
des Arztes wird sie nicht ausüben. In ihrem Wirken also bleibt sie de facto, was sie ist.«
    »Fraglich, wofür das alles, fraglich in der Tat.« Der König wirkte unzufrieden. »Mir scheinen die verderblichen Effekte zu überwiegen.«
    »Wir haben die Zusage ihres geschätzten Vaters, als Lehrer und Arzt an die Charité zu kommen, Eure Majestät. Sie wird sich stetig unter seiner Aufsicht befinden«, sagte Hufeland sanft.
    Der Kammerherr gab an der Tür ein Hüsteln von sich, das den König aufmerken ließ. Er erhob sich und mit ihm alle anderen.
    »Verlasse mich drauf, meine Herren, dass dem Fräulein nichts geschenkt wird«, sagte er.
    Bevor der König endgültig ging, um mit seiner jungen Frau eine Fahrt durch den Tierpark zu unternehmen, wandte er sich noch einmal um und sah zu Helene, die sich mit Hähnlein und von Orth vor ihm verneigte.
    »Tränen, schon jetzt?«, sagte er. »Sie braucht stärkere Nerven für das, was sie vorhat. Empfehlung an das Fräulein Schwester. Hoffe, sie bald wieder auf der Bühne zu sehen.«

Vier
    JULI 1828
    Der umhertreibende Perückenpuder verursachte Elsa Husten. Es war ein guter Grund, vom Hoffmann’schen Geist zu nehmen, den die Stopfkuchen ihr zur Nervenstärkung aufgedrängt hatte, so abscheulich er auch schmeckte. Elsa schüttelte sich, entnahm einer Lackdose das angefeuchtete Schwämmchen und begann, weiße Schminke aufzutragen.
    Eveline wusste das Weiß inzwischen besser herzustellen als jeder Apotheker, und sie benutzte schon lange kein Bleiweiß mehr, da Hufeland Elsa davon abgeraten hatte. Es verdarb die Haut bei längerer Anwendung, sagte er, sogar die Zähne konnten einem ausfallen davon. Stattdessen also mischte Eveline nun Schlämmkreide mit Rosenwasser und gab eine Winzigkeit Rouge végétal dazu, damit das Weiß im Gesicht aufgetragen weniger maskenhaft wirkte.
    Im Spiegel überprüfte Elsa die Übergänge zur Perücke und sah sich dann suchend nach einer Haarnadel um. Voreilig hatte die Ankleidefrau das Kästchen mit Hunderten davon fortgenommen. Jede Bewegung wurde in der engen Garderobenkammer zum Wagnis, besonders nahe der Kerzen auf dem Toilettentisch. Bloß nicht zu guter Letzt noch Brandflecken auf den elfenbeinhellen Ärmeln! Gerade heute würde sie sich nicht trösten können darüber, denn das Kostüm war eine wesentliche Ursache ihrer inzwischen ins Nervöse treibenden Euphorie.

    Auf dem Boden schließlich fand sich eine Haarnadel. Elsa hielt sie ins Kerzenlicht, bis sie schwarz angelaufen war, fuhr mit ruhiger Hand dem Bogen ihrer Augenbrauen nach, schwärzte die Nadel erneut, folgte der Lidlinie ihrer Wimper und betrachtete zufrieden die Wirkung. Eveline hatte den Farbton der Bühnenschminke so gut getroffen, dass es das Augenweiß nicht überstrahlte. Die Augen dominierten das vollkommene Oval des Gesichts. Die Lippen wollte Elsa heute nur sparsam zur Geltung bringen, doch das hatte keinesfalls etwas damit zu tun, dass sie sich monatlich für das Rouge de theatre aus Paris ruinierte und ihr nicht einfiel, sich mit billigem Zinnoberrot abzugeben, was dem Chor und den Statisten überlassen war. Die Rolle erforderte einen zurückhaltend geschminkten Mund, wenn sie nicht auf derbe Weise burlesk wirken wollte. Mit penibler Sorgfalt pinselte sie die Lippen aus, machte sie mit einer Spur weißer Pomade geschmeidig und gab dann das Rougepulver mit einem Schminkbüschel auf die Wangen.
    Sie lauschte, ob von draußen bekannte Stimmen zu hören waren. Es wurde Zeit, wenn sie vor den anderen da sein wollte. Die kleine Habermann, der sie hatte sagen wollen, sie möge dem Kandidaten aus Dresden nie wieder eine Frau in Nöten nahelegen, fehlte im Übrigen seit Längerem schon ohne Erklärung.
    Zügig reinigte sie ihre Finger mit einem weichen Tuch, klopfte sich die Reste des Perückenpuders von der safrangelben Weste und zupfte das Halstuch zurecht. Dann trat sie einen Schritt zurück. Sie lachte leise, als sie

Weitere Kostenlose Bücher