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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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Lustspielen auftrat. Als Lady Macbeth, Mary Stuart und Iphigenie, Rollen, in denen sie fraglos brillierte, musste der Rest von Berlin sie bewundern, was tatsächlich, trotz aller Nebenrede, noch immer hinlänglich geschah.
    Die Rache der Stich für Elsas gelobtes Käthchen war die Rolle des Pagen in einem zweimal wöchentlich aufgeführten Ritterspiel, was bedeutete, in abgetragenen Trikothosen und matt gewetztem Wams dem Bühnenritter das Barett hinterherzutragen.
    Die Wendung kam für Elsa völlig unverhofft, als ihr während einer Aufführung der Kampfergeruch des verhassten Kostüms in die Nase stieg und sie auf offener Bühne nieste. Es brachte das Publikum zum Lachen und den Intendanten auf eine vage Idee, die ungewöhnlich schnell zum Tragen
kam, denn der König wünschte sich bald darauf zur Aufführung in seinem persönlichen Theater eine Posse.
    Elsa lächelte, als sie an das ergebene Seufzen des Ensembles bei Erhalt dieser Nachricht dachte. Die Schauspieler verabscheuten die altbackenen Lustspielchen mit gleicher Inbrunst, wie der König sie liebte, da es sie zwang, in schlichten Verwechslungsgeschichten grelle Spaßigkeiten aufzusagen. Jedoch, es galt als hohe Auszeichnung, in den privaten Aufführungen vor dem König und seinen Gästen aufzutreten. So besetzte der Intendant in offenbarer Gleichmut seinen blonden Schützling, wie er Elsa heimlich nannte, als Schneidergesellen Krispin in der Posse Die Schwestern von Prag .
    Es hatte nur zwei Proben gegeben für das Stück, in denen Elsa die Kälte der Stich mit der unbefangenen Freundlichkeit einer Naiven abzufangen wusste. Daheim im Tanzsaal der Stopfkuchen probierte sie zum Ausgleich einige selbst erdachte Schrittfolgen. Es hatte sich gelohnt, dass sie bei ihrer Gymnastik nie auf den Ausfallschritt früher Fechtübungen verzichtete, um die Kontur ihrer Beine straff zu halten.
    Elsa strich die Strümpfe über den Waden glatt, obwohl sie nicht die winzigste Falte warfen, und die Arme bewegte sie, als gäbe es etwas Lästiges abzuschütteln. Die gefältelten Ärmel ihres Hemdes fielen, wie sie fallen sollten.
    Und dann, mit einem Mal, war es still im Zuschauerraum. Lautlos schlüpfte Elsa zurück an den Vorhang. Sie wollte sehen, wie der König seine Loge betrat. Alle blickten zu ihm auf. Er war in Begleitung der Fürstin, seiner bildschönen Frau, deren Toilette auch heute, wie es stets der Fall war, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Manche tadelten und andere begrüßten es, dass mit ihr endlich wieder Glanz und Prunk an den preußischen Hof gekommen war.

    Gerade als Elsa ein Stoßgebet in die Draperien des Bühnenhimmels schickte, dass ihr gelingen möge, alle, die da draußen mit den verschiedensten Befindlichkeiten befasst waren, zu fesseln und nur für sich zu gewinnen, spürte sie eine kühle Hand in ihrem Nacken.
    »Lampenfieber?«, flüsterte Auguste Stich.
    Gern hätte Elsa sich ihr zugewendet, um ihr mit einem forschen Nein ins Gesicht zu lügen, doch die Stich hielt sie am Nacken wie ein Karnickel.
    »Nun, Sie haben allen Grund dazu, liebes Fräulein. Und nicht nur, weil Sie Ihren ersten Auftritt im Kronprinzenpalais vor sich haben«, flüsterte sie weiter, so nah, dass Elsa ihren Veilchenpastillenatem riechen konnte. »Von heute an stehen wir uns als Gegnerinnen gegenüber, das haben Sie vermutlich einkalkuliert, ohne zu wissen, was es für Sie bedeutet. Sie sind jung, Sie verlassen sich auf Ihre Schönheit und Ihr Talent, obwohl Sie lange genug auf der Bühne sind, um zu wissen, wie viel Beharrlichkeit, Fleiß und Entbehrungen es bedeutet, ja und auch wie viele Demütigungen zu ertragen sind, bis man ein Ansehen erreicht wie meines. Ich werde dafür sorgen, dass Sie Ihre Schule durchmachen, kleine Demoiselle.«
    Unten im Orchestergraben ließ der Taktstock des Kapellmeisters die Instrumente verstummen, und der Theaterdiener versuchte gestikulierend, auf sich aufmerksam zu machen, ohne die Stich noch weiter zu reizen. Sie griff in das feine Nackenhaar Elsas, das sie unter dem Perückenzopf erwischte.
    »Sie sind mir in jedem Fach gefährlich, begreifen Sie das! Nicht die kleinste Rolle werde ich Ihnen freiwillig überlassen.«

    Als die Ouvertüre einsetzte, war die Stich im Dunkel des Korridors verschwunden. Rebenstein, der den Kaspar spielte, trat vor Elsa an die weiße Markierung am Zutritt zur Bühne.
    Von der oberen Maschinerie ließ sich ein Theaterarbeiter mit dem Zugseil des Vorhangs auf die Bühne fallen, sodass der schwere

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