Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
Vom Netzwerk:
verhalten hatte. Nach dem Dessert war der König wie immer an den Tisch der Schauspieler gekommen, Elsa hatte ihr genau geschildert, wie das vor sich gegangen war.
    Erst hatte er der Stich freundliches Lob ausgesprochen. » Formidable in der kleinsten Rolle! Ich bin immer ein großer Freund Ihrer Kunst, Madame!«
    Wie klug, wollte man meinen, erst diese Natter in vollständigen Sätzen zu besänftigen, gute Güte, wenn man bedachte, wie sie dem Kind gedroht hatte!
    Hersilie nahm einen Windbeutel vom Silberteller. Puderzucker bestäubte ihr bebendes Kinn. Gut also, dann hatte sich der König an Elsa gewandt, die in ihrem Kleid anbetungswürdig ausgesehen haben musste.
    »Sie hat gut gespielt in ihrem fatalen Kostüm.«
    Waren das etwa Worte eines indignierten Monarchen?

    Auch wenn er ihr mit dem Finger gedroht hatte - es gab keine Spur von Verärgerung. Hersilie glaubte Elsas Einschätzung voll und ganz.
    Nachdem sich die Einzelheiten des überraschenden Theaterabends herumgesprochen hatten, und dergleichen ging sehr schnell, wenn die richtigen Personen am Werk waren, wollte ganz Berlin Demoiselle Heuser in ihrer Hosenrolle sehen. Doch daraus wurde nichts. Als der Intendant das Stück auf den Plan des Königlichen Theaters zur öffentlichen Aufführung setzen wollte, kam … das Verbot!
    Keine weitere Aufführung des Stückes in dieser Besetzung, lautete die Weisung des Königs, der sich jede Woche vom Intendanten den Spielplan vorlegen ließ. Und dass Saphir, der jüdische Kritiker, mit spitzer Feder in der Schnellpost des übernächsten Tages schrieb, in Preußen würde die Kunst vom Mittelmaß zu Grabe getragen, machte es wahrhaftig nicht besser.
    »Einem großen Talent geht es wie einem papiernen Drachen«, war des Weiteren in der gleichen Ausgabe zu lesen gewesen, »je höher es sich erhebt, desto mehr Straßenjungen laufen zusammen, um es herunterzuziehen.« Wie recht der Mann hatte! Glatt würde sie das Bonmot Saphirs auf Leinen sticken, wenn es nur nicht so mühsam wäre.
    Wäre es nicht klug, das Gerede über Elsas Bühnenzukunft in die richtigen Bahnen zu lenken, damit es dem Kind nicht die Reputation verdarb? Zum wiederholten Mal stellte Hersilie sich ergebnislos diese Frage. Es war einer der seltenen Momente, in denen sie wünschte, sie könnte sich mit dem Direktor, Gott hab ihn selig, beraten. Er war immer so eindeutig gewesen in diesen Dingen.

    Ach, das arme untröstliche Kind. Mit den Hoffmann’schen Tropfen war nicht mehr weiterzukommen. Jeden Abend musste sie Eveline mit Likör schicken, damit Elsa schlafen konnte, und doch sah man sie morgens stets mit verweinten Augen.
    Dass aber auch von Vredow nicht in der Stadt war! Sie hätte ihm längst schreiben müssen - mit ihrer gênanten Zurückhaltung hatte sie es längst überzogen.
    »Madame?«
    Der Kasten mit den Zeitungen glitt von Hersilies Schoß, den ein Herrenmorgenmantel aus chinesischer Seide bedeckte - eine letzte schöne Erinnerung an den Direktor -, als Eveline plötzlicher, als es in Wahrheit der Fall war, vor ihr am Frühstückstisch stand.
    »Bist du von Sinnen, dich derart anzuschleichen? So etwas kann eine Frau meines Alters das Leben kosten!«
    »Verzeihen Sie, Madame, es ist nur, weil Sie mich letztens angewiesen haben, Ihnen jeden Besuch für Demoiselle Elsa bekannt zu geben.«
    »Um diese Zeit? Ausgeschlossen. Egal, wer es ist, es sei denn …«
    Sie beugte sich hinunter zu Eveline, die vor ihren Füßen die Zeitungen einsammelte. »Oder ist es von Vredow?«, flüsterte sie.
    Eveline stand auf und stellte den Kasten zurück auf die Kommode.
    »Es ist Demoiselles Schwester«, sagte sie. »Sie kommt gerade vom Nachtdienst in der Charité.«
     
    Als sich die Zimmertür öffnete und Elsa das Knarzen des Parketts hörte, das immer zu hören war, wenn jemand beim
Betreten des Zimmers die dritte Reihe des Fischgrätmusters traf, zog sie sich das große Federkissen über den Kopf. Der optimistische Duft frisch gebrühten Kaffees brachte sie augenblicklich zum Weinen. Das Tablett wurde auf dem Tisch abgestellt, Gardinen und Fenster geöffnet, Wasser plätscherte in die Waschschüssel. Da alles ohne die gewohnte Nachfrage geschah, ob es ihr recht sei, hob Elsa schniefend das Kissen an, um Eveline der Rücksichtslosigkeit anzuklagen.
    Am Waschtisch wusch Helene sich ausgiebig die Hände.
    »Guten Morgen, Elsa«, sagte sie. »Wirst du mit mir frühstücken?«
    »Nein.« Elsa drehte sich auf die andere Seite und versuchte das Zittern in

Weitere Kostenlose Bücher