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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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ihrer Stimme zu unterdrücken. »Bitte geh.«
    »Ich werde mich setzen und eine Tasse Kaffee trinken, sonst kippe ich aus den Pantinen. Oh, und ich muss, fürchte ich, auch eine von den Schrippen nehmen, ich merke gerade, dass ich einen unanständigen Hunger habe.«
    Überwältigt von der Erkenntnis, dass sie Helene vermisst hatte wie noch nie zuvor in ihrem Leben, liefen Elsas Tränen einfach immer weiter. Sie schob den Zipfel ihrer Decke zwischen die Zähne, um nicht laut aufzuschluchzen.
    »Um halb zwölf muss ich bei Professor Hähnlein sein. Pathologische Anatomie und Frauenkrankheiten, immer montags und mittwochs. Donnerstags Arzneimittellehre bei Professor Fried. Einige der Lehrer sind zurzeit an der See oder wandern im Lausitzer Gebirge, das Semester beginnt ja erst im Oktober. Schülerinnen sind auch gerade keine auf der Entbindungsabteilung. Trotzdem gibt es nicht gerade wenig zu tun.«
    Helene lachte und schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein.

    »Ich kam denen gerade recht, weißt du, meine Vorgängerin im Nachtdienst haben sie beim Stehlen von Leinzeug erwischt. Von acht Uhr abends bis um acht in der Früh findest du mich jetzt in der Charité. Ich kann selbst kaum glauben, wie schnell die ersten Wochen vorübergegangen sind.«
    Sie schob den Stuhl zurück und sprach - unglaublich, wenn man Helene kannte - mit vollem Mund weiter.
    »Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch, mich umzukleiden, die Gerüche … Ach, entschuldige«, unterbrach sie sich, »man sollte keinen Menschen auf nüchternen Magen mit anschaulichen Schilderungen aus der Charité behelligen. Meinst du, ich kann mir einen von den Windbeuteln mitnehmen? Sie sehen himmlisch aus.«
    Und plötzlich war sie auf der anderen Seite des Bettes.
    Mitsamt ihren staubigen Schnürstiefeln rutschte sie neben Elsa auf die Steppdecken. Helene schloss ihre Schwester so eng in die Arme, dass die anstrengende Nacht in der Charité und ihr Kaffeeatem mit einer Note Johannisbeergelee zu riechen waren.
    »Ich habe dir viel zu verdanken, Elsa«, sagte sie. »Obwohl ich nicht weiß, was genau du getan hast. Wie du wohl erreicht hast, dass der König sich persönlich ein Bild von mir machen wollte? Hast du Seine Majestät höchstselbst becirct?«
    Elsa musste lachen.
    »Hufeland«, sagte sie und zog die Nase hoch. »Ich lese ihm manchmal vor, der Arme ist fast blind. Wir gehen dann zusammen in den Tiergarten. Humboldts Ansichten der Natur bekommen durch meine Stimme eine ganz andere Dimension, sagt er.«
    »Ich bin beeindruckt und glaube ihm aufs Wort.«

    Ihre Nasenspitzen berührten sich, als die Schwestern einander in die Augen sahen.
    »Wie hast du deiner Schwangerschaft ein Ende gesetzt?«, fragte Helene leise.
    »Das werde ich dir nicht sagen.«
    »Wer hat dir geholfen? War es ein Mann oder eine Frau?«
    »Das spielt doch nun wirklich die geringste Rolle«, sagte Elsa. Sie versuchte sich aus der Umarmung zu lösen, doch Helene hielt sie fest. Im letzten Moment bevor sie die Frage stellte, die sie beschäftigte, seit Eveline ihr den Brief gezeigt hatte, fiel ihr ein, dass sie nicht die Rede darauf bringen konnte, ohne das Dienstmädchen in Schwierigkeiten zu bringen.
    »Nun, wenn es eine Frau war, ist es womöglich eine Hebamme gewesen«, sagte sie. »Was hat man dir gegeben? Weißt du es? Es muss dir schlecht gegangen sein, du warst lange fort aus Berlin. Hattest du starke Blutungen?«
    »Es ist vorbei, und ich habe es überlebt, wie du siehst. Ich will nicht mehr darüber reden.« Elsa zog die Nase kraus. »Du solltest wirklich deine Kleider wechseln«, sagte sie und lächelte endlich. »Wo wohnst du?«
    Helene ließ Elsa los und setzte sich auf.
    »In der Georgenstraße. Ich habe ein Zimmer bei der Witwe eines Professors für Augenheilkunde.« Sie schnüffelte an ihren Achseln. »Ich wohne unterm Dach und habe einen hübschen Blick auf die Spree.«
    Elsa war schon am Tisch, schenkte sich Kaffee ein und biss in eine gebutterte Schrippe. »Das schaffst du nicht mehr«, sagte sie kauend. »Ich gebe dir etwas von mir.« Sie deutete auf den Klingelzug. »Eveline bringt frisches Wasser, und ich glaube, ich sollte sie nach Kornblumenessenz in die Apotheke
schicken. Nichts hilft besser gegen rote Augen. Die hab nämlich nicht nur ich.«
    Vor Elsas Toilettentisch beugte sich Helene zum Spiegel.
    »Komm, ich bürste dir die Haare«, sagte Elsa. »Du siehst aus wie eine Hundelotte.«
    »Würdest du sie mir abschneiden?«
    »Abschneiden? Willst du jetzt ganz

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