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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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sich auch bemüht hatte, ihm ihre Flucht zu erklären.
    »In Elsas Leben geht es zum ersten Mal um große Gefühle, lieber Moritz, und das erschreckt sie zu Tode«, hatte sie gesagt. »Im Grunde ist sie ein Hasenherz. Warum, meinen Sie, ist Elsa Schauspielerin geworden? Wenn sie das Fell sträubt, dann nur, um darunter ihre weiche Seele in Schutz zu nehmen.«
    Noch nie hatte sich eine Frau von ihm zurückziehen wollen. Sollte er allein aus Eitelkeit Malvines Worten so gern geglaubt haben? Er hatte sich bisher noch zu keiner Handlung durchringen können. Nachdem Madame von Homberg abgereist war, hatte sich Elsas Bild täglich mehr verflüchtigt, was ihn zutiefst unglücklich machte. Er empfand dieses Phänomen als Versagen.

    Cecilie verlor kein einziges Wort über Elsa, womit ihm selbst die Möglichkeit, sie zu verteidigen, genommen worden war. Nur Schröders nachdenklichen Blick hatte er manchmal auf sich gespürt, doch selbstredend stand es außer Frage, sich einer Hausdame anzuvertrauen, was er in manchen Momenten sehr bedauerte.
    Während Moritz sich fragte, wie er dem Ganzen entkommen sollte, verfing sich das Hündchen in der duftigen Menge an Chiffonschals, welche die Fürstin kunstvoll drapiert zu tragen wusste, und Elsa kam ihr zu Hilfe, es unter dem Gelächter der anderen zu befreien.
    »Lass uns gehen, alter Knabe«, sagte Wilhelm Ludwig, ohne den zappelnden Hund aus den Augen zu lassen, der aus Elsas Armen in die der Fürstin gereicht wurde.
    »Ich möchte Mademoiselle Heuser nach Hause begleiten. Entlässt du mich aus der Pflicht für heute Abend? Selbstverständlich nur, wenn dir nichts Bedeutendes am Herzen liegt.«
    »Du kennst sie?«
    »Ich liebe sie.«
    »Ah, bon .« Wilhelm ließ sich seine Überraschung nicht anmerken.
    »Weiß sie es schon?«

    Sie lief an seiner Hand durch die Gänge des Königlichen Palais, die heitere Gesellschaft zurücklassend, ohne dass jemand die Pikanterie ihres Wiedersehens bemerkt hätte, glaubte Elsa, doch im Grunde war sie außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen, seit Moritz an der Seite des
Prinzen das chinesische Kabinett betreten hatte. Auch schien niemand Anstoß daran zu nehmen, dass Baron von Vredow sich anerbot, Mademoiselle Heuser Geleit zu geben, nachdem plötzlicher Kopfschmerz sie heftig ergriffen hatte. Der König verabschiedete sie launig aus der Runde des Schauspielers Devrient, und die Fürstin ließ ihren Mops die Pfote geben.
    »Nein, diese Mädchen heutzutage!«, hatte Devrient ihnen mit jubelnder Falsettstimme nachgerufen. »Sie sehen ihren Liebhabern starr in die Augen und sprechen von einer Verlobung wie von einem Rezept zu einer Mandeltorte! Schwören Sie, dass Sie wenigstens ein wenig in Ohnmacht fallen, liebes Kind!« (Womit er sich keineswegs hellsichtig zeigte, sondern nur aus Kotzebues deutschen Kleinstädtern zitierte, was Moritz nicht wissen konnte, doch Elsa beschwichtigte ihn mit einer zärtlichen Geste.)
    Weit ausschreitend mit seinen langen Beinen, zog Moritz Elsa nun hinter sich her. Sie fühlte sich wie ein Papierdrachen, dem es unmöglich war, vom Boden abzuheben, so schnell war er, nur um sie nicht zu Wort und außer Atem kommen zu lassen. Nachdem sie vor dem Eintritt ins kerzenbeleuchtete Treppenhaus einen Hofbeamten übersehen und beinahe umgerannt hatten, trug Moritz sie kurzerhand die Stufen hinunter, um sie unten im Hof auf sein Pferd zu heben, das von einem Marstall-Burschen bereitgehalten wurde.
    Sie ritten, nun in gemächlichem Tempo, Unter den Linden entlang durch die von den ersten Gaslaternen der Stadt erhellte Nacht. Der Tierpark empfing sie mit Stille. Nur hin und wieder fuhr eine leise Brise durch die Baumkronen. Sie lehnte an seiner Brust, hörte sein Herz schlagen und wünschte,
sie könnte sich mit diesem Moment zufriedengeben, in dem sie wahrhaftig glücklich war und in seiner unmissverständlichen Kraft tief geborgen. Wenn sie doch immer nur weiter durch die Zeit treiben könnte mit ihm, wenn er nur nicht anhalten würde und zu reden beginnen. Aber natürlich tat er es doch.
    »Ich liebe dich«, sagte er. »Ich wünsche mir, dass du meine Frau wirst, Elsa.« Er küsste ihren feuchten Nacken. Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und sah zu ihr auf.
    Elsa senkte den Blick unter seinem. Sie holte Atem und suchte nach Worten, die sie aussprechen konnte, ohne ihn zu kränken, möglichst ohne überhaupt irgendeine Antwort zu geben. In allen Theaterstücken, die sie jemals gespielt hatte, in jedem Roman,

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