Wiegenlied Roman
Geplänkel einzustellen gedachte. Es bedeutete, dass der König ein Bedürfnis nach leutseligen Begegnungen hatte, dem die meisten seiner Hofschauspieler nachzukommen wussten, sodass eine gelöste Stimmung herrschte. Fast fühlte Elsa Widerwillen. Doch es galt, die Dinge wieder in die Hand zu nehmen, und dafür bot sich kaum eine bessere Gelegenheit
als ein solcher Abend, an dem der König jenseits der höfischen Etikette im natürlichen Fluss angeregter Gespräche unterhalten werden wollte. Eine angemessene Frist von Demut und Bescheidenheit war nun verstrichen, fand Elsa. Es war an der Zeit, den König wieder für sich einzunehmen, und dies in einer Weise, die unter den Argusaugen der Stich kein Misstrauen erregte.
Sie betraten das Palais durch den hinteren Hofeingang, und schon während sie von livrierten Dienern zum kleinen Speisesaal geleitet wurden, begann Elsa eine seltsame Erregung zu spüren, so als stünde ein außergewöhnliches Ereignis bevor.
Es war überwältigend schmerzhaft, als sie ihn bemerkte, die Röte überflutete ihre Wangen, und ihre Augen weiteten sich.
»Sie ist entzückend«, sagte Wilhelm neben ihm. »Warum ist sie mir bis jetzt noch nicht aufgefallen?«
Man hatte den Prinzen und seinen Gast bei ihrem Eintreffen wissen lassen, dass der König mit seinen Gästen nach dem Diner ins chinesische Kabinett übergewechselt war, da Madame Stich die gestickten Seidentapeten so gern hatte sehen wollen. Umgeben von seinen Schauspielern, die auf zierlichen Sofas, ihre Moccatassen balancierend, plauderten, befand sich der König in seinem grauen Militärrock wie ein Prachtfink unter Pfauen.
Das Kerzenlicht von den Wandleuchtern schien sich indessen allein in Elsas Augen zu fangen. Sie saß auf einem geschnitzten Hocker zu Füßen des Königs. Noch während die Schauspieler sich erhoben und der König seinen zweitgeborenen
Sohn begrüßte, blieb sie, wo sie war, und hielt Moritz’ Blick stand.
Wäre die Fürstin nicht just in diesem Augenblick eingetroffen und mit ihr ein absurd hässliches Hündchen, das die ganze Runde in Bewegung brachte, Moritz hätte nicht gewusst, wie er auf die Schnelle seiner aufgewühlten Empfindungen hätte Herr werden sollen. Als das Tier Elsas Lockrufen folgte und sie es nach ihrem Handschuh, den sie vom Arm gestreift hatte, jagen ließ, was den König ebenso wie seine junge Frau erheiterte, bemerkte Moritz, wie Wilhelm Ludwig sich abwandte. Angeregt parlierte der Prinz mit den männlichen Schauspielern, sagte der Stich Galanterien, wohingegen er Elsa keines Blickes mehr würdigte, was, wie Moritz wusste, ein sicheres Zeichen seines Interesses war. Wenn er sich jetzt nicht bekannte, würde noch am heutigen späten Abend bei Elsa ein Billett eintreffen, nur wenige Minuten, nachdem sie selbst ihre Wohnung erreicht hatte. Bei der Abendtoilette möglicherweise würde es ihr vom Mädchen mit dem letzten Becher Honigmilch vor dem Zubettgehen auf dem Silbertablett überbracht, damit der Gedanke an ein Rendezvous mit dem Prinzen sie in süßesten Schlaf wiegen sollte.
Moritz nahm das Geschehen um sich wahr wie ein Schattenspiel. Er hörte sich höfliche Antworten geben und Konversation machen. Sein Geist befand sich indessen in Abwesenheit, sein Herz in gestrecktem Galopp.
Die Einladung nach Potsdam war für Moritz ebenso plötzlich wie gelegen gekommen. Er hatte umgehend geantwortet und zugesagt, auch wenn seine Anwesenheit auf dem Gut zum Ende der Kornernte, inmitten aller Unwägbarkeiten, die diese Periode mit sich brachte, nahezu unerlässlich
war, so schien es ihm, als müsse der sehr persönliche Brief Wilhelm Ludwigs als schicksalhafter Ruf zu verstehen sein. Er habe ihm etwas anzuvertrauen, was schwer auf seinem Gewissen laste, hatte der Prinz geschrieben, etwas, das er allein bei ihm, Moritz, dem geliebten, wenn auch inzwischen fernen Freund, in Sicherheit wähne.
Er war mit Wilhelm Ludwig von Potsdam nach Berlin geritten, und obwohl es bislang noch zu keinem wahrhaftig vertraulichen Gespräch gekommen war, hatte Moritz sich ihm während des mehrstündigen Ritts mit einem Mal wieder nahe gefühlt. Inzwischen allerdings, nach einem gemeinsamen Abendessen in Charlottenburg, gestand er sich ein, dass allein seine diffusen Erwartungen hinsichtlich eines Wiedersehens mit Elsa eine Welle zärtlichen Empfindens ausgelöst haben mussten, die den ahnungslosen Wilhelm mit eingeschlossen hatte. Elsa hatte ihn mit ihrer heimlichen Abreise gekränkt, sosehr Malvine von Homberg
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