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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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Kammerzofe über den Hof. Sie befand sich auf dem Weg zum Waschhaus, das, von dichten Hecken umgeben, im Garten des Prinzessinnenpalais versteckt lag, und sie war in Begleitung des unsäglichen Tieres, das den Namen Männchen trug.
    Dem jungen Ding nachzulaufen, schnell und auch wieder langsam genug, sodass sie ihn nicht bemerkte, er aber auch nichts verpasste, wenn sie den schweren Wäschesack bei den Waschweibern abliefern und sich fraglos mit Geschwätz aufhalten würde, bereitete ihm Mühe und Schmerz.
    Obwohl er die Umgebung des Waschhauses bereits Tage zuvor erkundet hatte, wusste er noch nicht in Gänze, wie er es bewerkstelligen sollte, Einblick in das Geschehen zu bekommen, ohne dabei aufzufallen. Bei Unterfangen dieser Art gereichte es ihm auf fatale Weise zum Nachteil, dass er nicht mehr jung und wendig war. Er hätte sich sonst unterhalb der Fenster ducken können, die im Sommer offen standen. Doch derartige Körperhaltungen einzunehmen war ihm vollkommen unmöglich. Er hoffte, an die rückwärtige Hausmauer zu gelangen, um sich dort zwischen den blühenden Spiräen zu verbergen, die ihn ohne Weiteres überragen würden. Zudem setzte er darauf, dass die Waschweiber ihrem Ruf gerecht wurden und einander viel zu erzählen wussten.

    Als hätten die schlimmsten Befürchtungen sich aus seinem Innern davongemacht, um in der Wirklichkeit Gestalt anzunehmen, hielten sich hartnäckige Gerüchte am Hof, die zweite Frau des Königs sei schwanger. Noch wollte er es nicht glauben. Die Hofschranzen vermochten eine Unmenge heißer Luft zu verblasen, besonders im Sommer, wenn sich in der Stadt wegen der Abwesenheit vieler Charaktere, die gemeinhin für Gesprächsstoff sorgten, kaum etwas tat. Unablässig war man auf der Suche nach Skandälchen und selbst den minderwertigsten Neuigkeiten.
    Die Person indessen gab ihre Vorliebe eines täglichen Ausritts nicht auf, was gegen das Gerücht sprach. Nie würde sie, da war er sicher, wenn sie mit einem Nachkommen des Königs trächtig wäre, das Leben dieses Kindes gefährden, auch wenn ihm in der Thron- und Erbfolge kein Platz zustand.
    Und doch: Sie sah wohl aus, und obgleich er in Belangen der weiblichen Schönheit gänzlich unbewandert war, zumal es für ihn nur einen einzigen schönen Menschen auf Erden gegeben hatte, meinte er feststellen zu müssen, dass die schmalen Gesichtszüge der Person rundlicher geworden waren und das dunkle Haar glänzender. Man sagte doch dergleichen von schwangeren Weibern. Er hatte es in der Bibliothek der Hofapotheke nachgelesen und bestätigt gefunden.
    Die Zofe war hinter dem Rundbogen des Heckenportals verschwunden. Er blieb stehen, um die Gartenknechte mit den geschulterten Gerätschaften vorbeizulassen. Ihre kräftigen, gesunden Körper, die Unverdrossenheit, mit der sie sich ihrem Tagwerk zuwandten, machten ihn mit einem Mal tieftraurig. Einen einsamen Moment lang hätte er alles darum
gegeben, einer von ihnen zu sein. Er wartete, bis sie zum Rondell des Rosengartens abbogen. Dann ging er weiter.
    Wie das Gegacker aufgeregten Federviehs drangen die Stimmen der Frauen aus Fenstern und Türen des Waschhauses. Das Klatschen von nassen Wäschestücken auf den Waschsteinen, Gelächter und laut vorgebrachte Schamlosigkeiten bereiteten seinem Empfinden nach den richtigen Nährboden für das, worauf er aus war. Als kleiner Junge hatte er sich manchmal in der Küche seines Elternhauses versteckt, um die Geschichten der Frauen mit anzuhören, die etwas Anrüchiges zu haben schienen und die, wie er glaubte, voller dunkler Geheimnisse waren, da so viel geflüstert, gekichert oder mit erstickter Stimme gesprochen wurde, was ihm Hitze bereitet hatte, besonders wenn Tränen flossen. Auch jetzt war ihm heiß unter der Livree. Nur mühsam widerstand er dem Verlangen, das Halstuch zu lockern, während er, in die Schatten der hohen Hecken gedrängt, an der Längsseite des Waschhauses entlangging, weder geduckt noch schleichend, damit, sollte eines der Weiber oder sonst jemand ihn entdecken, er nicht den Eindruck erweckte, er wolle sich heimlich nähern.
    Doch er hatte nichts zu befürchten. Die Frauen hatten sich sogleich der eintretenden Zofe zugewandt, dankbar für jede Unterbrechung ihrer schweißtreibenden Arbeit. Während das Mädchen den Wäschesack auf einen langen Tisch in der Mitte des Raumes wuchtete, kamen sie heran, eine nach der anderen, die Hände an den Schürzen abtrocknend, Schläfen und Stirnen betupfend. Sie verstellten ihm den Blick

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