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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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weitere Gelehrte. Bertram empfing sie in seiner Wohnung zum Unterricht in Physiologie und Therapie, Grünwald in der seinen zum privaten Kursus in forensischer Medizin. Die Chirurgie war ihr verboten, und Latein lernte sie allein, den Bandagenkurs absolvierte sie mit den Eleven der Akademie, wofür man als plausible Erklärung erfand, dass sie einen Landarzt heiraten würde.
    Wenn Hähnlein überhaupt eine Sorge zuließ an diesem Morgen, dann war es sein möglicherweise vorschneller Entschluss, Novak einzuweihen, doch er fand es indiskutabel,
fortgesetzt seinen Assistenten zu belügen, auf dessen Integrität und Vertrauen er in der täglichen Arbeit angewiesen war.
    Kurz nach ihrem Vater war die junge Heuser äußerst gehetzt eingetroffen, um nun heute zum ersten Mal gemeinsam mit ihm das Gebäude der Universität zu betreten. Ihre Empfindungen, die vermutlich zwischen Euphorie und Ehrfurcht schwankten, waren ihr noch immer anzusehen, jedenfalls für ihn, der seine Schülerin inzwischen gut kannte.
    Während trockenes Laub von den Bäumen gegen die hohen Fenster des Auditoriums trieb und drinnen die Luft immer stickiger wurde, hörte Hähnlein Professor Heuser zu einem Appell ansetzen, der ihm von besonderer Bedeutung war. Er würde von den Gefahren des Missbrauchs der Mittel zur Einleitung einer künstlichen Frühgeburt sprechen, und niemand konnte wissen, ob seine Mahnung im Gewissen der Studenten Aufnahme finden würden. Hähnlein selbst, und daran mochte seine Erfahrung als Militärarzt Anteil haben, war niemals der Meinung gewesen, dass der studierte Mensch sich über andere erheben dürfe. Speziell die Medizin gab manchem, der sie ausübte, ein Gefühl von Macht, obgleich jedem wahrhaftig guten Arzt klar sein musste, dass im Kampf um Leben und Tod beileibe nicht allein die Kunstfertigkeit eines Einzelnen siegen konnte. Sie alle hatten sich den Eigenheiten der Natur und dem Willen Gottes zu ergeben.
    Aufbrandender Applaus riss Hähnlein aus den Gedanken. Er sah die Studenten Professor Heuser umringen, und er entdeckte Caspar von Siebold, den Sohn des Alten. Überrascht, ihn zu sehen, ging er zu ihm und grüßte ihn höflich. Sie tauschten einige Artigkeiten aus, und Hähnlein nahm gern die Beglückwünschung des jungen Siebold dafür entgegen,
dass es ihm gelungen war, Heuser nach Berlin zu holen. Siebold ging, um sich ihm anzuempfehlen, und die Studenten drängten an Hähnlein vorbei dem Ausgang zu.
    Während er darüber nachdachte, ob er Pferd oder Wagen nehmen sollte, um eine Patientin, deren Niederkunft unmittelbar bevorstand, in Charlottenburg aufzusuchen, streifte ihn unverkennbarer Leichengeruch. Da musste wohl jemand von einer Sektion direkt zum Vortrag geeilt sein.

    Es war später Nachmittag, als die Kutsche von der Landstraße auf die Allee einbog, die zum Heiligen See führte. Die Oktobersonne tauchte das Herbstlaub an den Bäumen in goldenes Licht. Elsa hatte keinen Blick für den majestätischen Empfang, den ihr die Natur bereitete, denn sie saß hinter den geschlossenen Vorhängen der Equipage, die sie am Halleschen Tor abgeholt hatte. Sie war aufgeregt, darüber konnte sie sich mit nichts hinwegtäuschen.
    Es hatte Tage gegeben, an denen sich die Billetts der Fürstin und des Prinzen kreuzten. Manchmal hatte es ihr den Atem geraubt, denn sie hatte sich bedeutend gefühlt, und das liebte sie über alle Maßen.
    Dabei konnte das Ganze noch keine Auswirkungen für ihre Position am Theater haben, dafür war es noch zu früh. Sie spielte weiterhin die Zofe, wenn auch mit freundlichen Kritiken und Szenenapplaus. Die Berliner begannen, sie als feste Größe zu betrachten, und hatten sie gern. Trotzdem war sie voller Unruhe und gleichzeitig wie berauscht von dem Gefühl, immerhin zwei Fäden in der Hand zu halten an keinem geringeren Ort als dem preußischen Hof.

    Das Treffen mit der Fürstin lag nun fast zwei Wochen zurück. Die junge Hofdame Hermine von Helmer hatte einige Nachrichten hin- und hergetragen, manchmal kam sie ins Theater, oder das Billett war sehr einfach im Palais beim Plauderabend des Königs zu übergeben. Alle Nachrichten hatte sie wie gewünscht verbrannt, was ihr jedes Mal ein nahezu kindliches Vergnügen bereitete.
    Die Fürstin hielt freundliche Distanz, und Elsa fasste die Hofdamen ins Auge, von denen es nicht viele gab, denn der Hofstaat der Fürstin hielt sich in engen Grenzen. Sie vermochte sich beim besten Willen nicht vorzustellen, welches der steifen Geschöpfe in

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