Wiegenlied Roman
Bedrängnis geraten sein könnte. Vielleicht war es ja niemand vom Hof? Aber warum dann eine solch aufwendige Inszenierung?
Elsa wurde gegen die samtenen Polster gedrückt, als die Kutsche erneut abbog. Die Hufe klapperten auf Pflastersteinen. Sie schob den Vorhang zur Seite, um zu sehen, wie nah sie ihrem Ziel war. An hohen Mauern vorbei führte ein von Bäumen dicht eingefasster Weg auf das kleine Schloss zu. Die untergehende Sonne färbte den Himmel jetzt rosa und ließ die Fassade des Marmorpalais glühen, als stünde es in Brand.
Elsa schlug das Herz bis zum Hals. Der Prinz hatte ihr geschrieben, dass die ehemalige Sommerresidenz seines Großvaters unbewohnt sei. Ein zottiger Neufundländer lag unterhalb eines Fensters neben dem Portal. Er sah ihr melancholisch entgegen, als sie aus der Kutsche stieg, und verharrte regungslos, während sie dem alten Diener durch den Treppensaal aus weißem und blauem Marmor folgte. Sie gingen eine geschwungene Galerie entlang, durch deren Fenster sich letztes Tageslicht zu den pompejischen Wandmalereien
tastete und die staubigen Deckenlüster verhalten schimmern ließ. Es war kühl, und ihre Schritte hallten auf dem Marmorboden.
Mit einer Verbeugung öffnete der Diener schließlich die Tür zu einem holzgetäfelten Zimmer. Die Vorhänge sowohl an den Fenstern als auch am Bett waren aus schwerer grüner Seide. Die Uhr mit einem Globus aus Bronze auf dem marmornen Postament zeigte beinahe drei viertel vier und war vielleicht schon vor Jahren stehen geblieben. Leise lief Elsa durch das Schlafkabinett, bis sie draußen, durch die geöffneten Terrassentüren, den Prinzen an der Steinbrüstung stehen sah. Er hatte die Hände auf dem Rücken zusammengelegt und blickte hinaus auf den Heiligen See. In seinen Locken spielte wie versessen das Abendrot.
Als er sich umwandte, blieb sie erschrocken stehen.
»Kommen Sie«, sagte er.
Sie tranken Champagner, als die Sonne versunken war, und sie erlaubte ihm, ihre Schulter zu küssen. Jedenfalls glaubte sie fest daran, dass alles, was geschehen sollte, noch immer in ihrer Hand lag. Seine Lippen waren weich, doch er küsste weniger zärtlich als Moritz. Warum nur musste sie ausgerechnet jetzt an ihn denken?
Als der Prinz sie umfasste und zum Bett trug, flüsterte sie seinen Namen.
»Wilhelm Ludwig.«
Die Atemlosigkeit kam ihr wie von selbst über die Lippen, denn es ging tatsächlich alles sehr schnell. Kein Wunder, hatte sie doch seine Leidenschaft über Wochen geschürt. Sie legte den Kopf in den Nacken und dachte, dass sie niemals das Deckengemälde, den Reigen von Schlaf, Abend und Morgen, vergessen würde.
Der Moment schien ihr schicksalhaft, auch wenn er unter der brüchigen Seide des großväterlichen Betthimmels zügig vorüberging. (Erst später sollte sie erfahren, dass Wilhelm Ludwigs Vorfahr das Schlafkabinett mit seiner langjährigen Mätresse zu teilen pflegte, was sie empfand wie einen Sturz vom Bad in den Schnee.)
Doch welche eigenmächtigen Wendungen ihr Herz nehmen sollte, ahnte Elsa noch nicht. Als sie an der schweißfeuchten, glatten Brust des Prinzen lag, erspürte ihre Hand das Medaillon, das sie im Laufe ihrer stürmischen Umarmung mehrfach über sich hatte schwingen sehen.
»Hoppla«, sagte sie und wollte es öffnen, doch er war schneller.
»Ich werde mich verloben«, sagte der Prinz. »Aber ich möchte Sie trotzdem wiedersehen.«
Seine Hand umschloss Elsas, die immer noch das Medaillon festhielt.
»Erinnere ich Sie an jemanden?«, fragte sie leise.
»Würde es Sie stören?«
»Nein«, sagte Elsa, »wozu bin ich Schauspielerin?«
Als Helene kurz vor der Morgendämmerung die Schlafkammer der Wöchnerinnen betrat, schlief Sidonie. Der Brustwickel mit warmem Seifenbrei tat gottlob seine Wirkung. Die einschießende Milch verursachte ihr größte Schmerzen, und die Hitze in den steinharten Brüsten hatte sie erbitterte Flüche ausstoßen lassen, bis sie vor Erschöpfung weinte.
Sidonie weinen zu sehen hatte Helene zutiefst berührt. Unter der Geburt, die ebenso schmerzhaft wie zügig vonstattengegangen
war, hatte sie sich unerschütterlich gezeigt.
Wie auf Befehl setzten ihre Wehen zunächst aus, als sie die Charité in Begleitung Bluncks, der Fiebernden und der Schlesierin erreichte. Der Arzt hatte sie mit dem Fuhrwerk einer Meierei von der Königsmauer nach Spandau schaffen lassen, denn das schlesische Mädchen war von ihm losgeschickt worden, eines aufzutreiben, egal welcher Beschaffenheit, Hauptsache,
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