Wiener Requiem
Komponist Edward Elgar, als er seine
Enigma Variations
herausbrachte, angedeutet, er spiele in seinen Variationen mit der Melodie einer sehr bekannten altenWeise. Ich muss gestehen, dass ich das Rätsel noch nicht ganz gelöst habe, tendiere aber dazu,
Auld Lang Syne
für seine Inspirationsquelle zu halten.«
»Und hier haben wir eine ähnlich einfache Verschlüsselung?«, erkundigte sich Werthen.
»Leider nicht. Musiker haben auch Kodes entwickelt, die eine Skala von aufsteigenden Viertelnoten nutzten, ein Dutzend von ihnen stand für die ersten zwölf Buchstaben des Alphabets. Auch der Rhythmus wurde in diese Bemühungen miteinbezogen, man entwickelte Codes, die dem Morsealphabet ähnelten. Und dann hatte man auch noch mit einfachen Verfahren der Kodierung durch Buchstabenersetzung zu ringen. Der große Kryptograf des neunzehnten Jahrhunderts Ak-Kindi aus Bagdad hat gezeigt, dass man lediglich ein System entwickeln muss, in dem ein Buchstabe jeweils für einen anderen steht. So würde zum Beispiel A immer durch B ersetzt werden und B auf der anderen Seite durch den Buchstaben H. Und dann haben wir das Werk von Porta, dessen geheimes Alphabet im siebzehnten Jahrhundert oft genutzt wurde. Das wiederum bringt mich nun endlich zur Arbeit des bedeutenden britischen Geistlichen des siebzehnten Jahrhunderts, Bischof John Wilkins.«
»Ja, richtig!« Gross konnte seine Begeisterung nicht mehr zurückhalten. »Seine Abhandlung:
His Mercury: The Secret and Swift Messenger
war eine wahre Offenbarung für mich.«
»Sie sollten auch seine Schrift zur Konstruktion einer künstlichen Sprache für Diplomaten, Wissenschaftler und Philosophen lesen. Es ist ein höchst inspirierender Lesestoff.«
»Papa.« Berthe versuchte sanft, ihn wieder auf ihren eigenen Fall zurückzubringen.
»Also, der gute Bischof schrieb sein Buch über die Kryptografie, als er gerade mal siebenundzwanzig Jahre alt war, und ich denke, dass die Burschen es während des englischen Bürgerkriegs gut nutzen konnten. In seinem Werk geht er auch auf die in Noten versteckte Sprache ein. In Kapitel achtzehn, wenn ich es recht erinnere, postuliert er ein Alphabet aus absteigenden Noten. Er beginnt mit A und lässt die Buchstaben K und Q aus, da ihr Klang durch das C ersetzt werden kann. Aber Wilkens geht noch weiter und benutzt zusätzlich ein System der Buchstabenersetzung. Als Sprachgrundlage bedient er sich des Lateinischen. Als ich mich an dieses System erinnerte, war der Rest nur noch eine reine Fleißarbeit.«
»Wie lautet die geheime Botschaft?«, fragte Werthen, der vor Neugier brannte.
Herr Meisner nahm ein Stück Papier aus seiner Westentasche, blinzelte und las: »Hans Rott grüßt und verdammt dich aus seinem Grab heraus, Mahler.«
»Sind Sie sich dessen absolut sicher?«
Herr Meisner nickte feierlich.
»Aber das ist ja phantastisch«, sagte Werthen.
Gross schlug Werthen auf die Schulter und reichte ihm ein Glas Sekt.
»So, nun wissen Sie auch, warum wir feiern. Jemand, der zu Rott in Verbindung steht, will Rache an Mahler nehmen, da dieser ihm sein Werk gestohlen hat. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wer dieser Jemand ist.«
Aber Werthen war noch nicht vollständig überzeugt. »War um sollte diese Person sich denn so entblößen? Warum sollte sie eine so deutliche Spur hinterlassen?«
»Von einer deutlichen Spur kann da wohl keine Rede sein«,widersprach Gross. »Es brauchte schließlich zwei ausgebildete Kryptografen, um den Geheimsprachenschlüssel zu finden.«
»Dennoch«, beharrte Werthen.
»Mein Freund«, versicherte ihm Gross, »diese Nachricht enthält eine Reihe von wichtigen Hinweisen. Da ist natürlich die Verbindung zu Hans Rott, aber wir wissen nun auch, dass sich unser Feind für unbesiegbar hält. Er hat ein übergroßes Ego und denkt, der Rest der Welt bestände aus lauter Idioten. Also kann er falsche Fährten legen, wie die von der Ermordung berühmter Wiener Komponisten und uns gleichzeitig mit diesem Stück kodierter Musik eine Nase drehen. Diese falsche Fährte zeigt uns außerdem, dass wir ihm mit unserer Untersuchung zu nahe kommen. Zudem erfahren wir hier auch, dass der Täter gewisse Kenntnisse von Musik und Komposition besitzt. Vielleicht ist er sogar mit Musikern befreundet.«
»Mein Gott, könnte es wirklich sein?«, meinte Werthen nachdenklich.
»Was ist denn, Karl?« Aufgeschreckt durch den plötzlichen Wechsel in seinem Tonfall packte Berthe seinen Arm.
»Ich habe heute mit Arnold Rosé gesprochen
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