Wiener Requiem
eine jüngere Version von Kaiser Franz Joseph aus.
»Meine Güte, Herr«, fuhr Blauer einen neben ihm stehenden Mann in Lederhosen dröhnend an. »Haben Sie nicht behauptet, diese Tiere wären abgerichtet?«
»Das sind sie auch«, gab der andere zurück. »Aber für die Jagd, nicht um hier possierlich auf der Bühne herumzutollen.«
»Leitner!« Blauer schirmte mit der Hand die Augen ab, um gegen die starke Beleuchtung in den Zuschauerraum sehen zu können. »Sind Sie da oben? Hören Sie mich? Das ist kompletter Wahnsinn. Siebzig Hunde für die Auftaktszene? Der Kerl muss verrückt geworden sein.«
Leitner wandte sich kurz Werthen zu. »Er spricht von Herrn Mahler, fürchte ich. Es war sein Wunsch, die Hunde auf der Bühne zu haben. Er versteht es wirklich großartig, theatralische Effekte zu erzeugen.«
»Leitner!«, schrie Blauer nochmals in seinem schleppenden Ottakringer Dialekt. »Wir brauchen wenigstens Viecher, die ihr Wasser halten können, solange sie auf der Bühne sind.«
»Sie entschuldigen, Herr Werthen, aber ich glaube, ich sollte mich dieser Angelegenheit annehmen.«
»Selbstverständlich. Und danke nochmals.«
Aber Leitner war zu stark mit dem Hundedrama beschäftigt, um ihm noch weiter seine Aufmerksamkeit zu schenken.
»Was gibt’s zu feiern?«, fragte Werthen, als er am Abend in seine Wohnung zurückkehrte.
Eine geöffnete Flasche Sekt stand in einem Eiskübel. Gross und Herr Meisner prosteten sich mit ihren langstieligen Gläsern zu. Berthe stieß ebenfalls mit ihnen an, aber in ihrem Glas schien Wasser zu sein.
»Ah, Werthen«, sagte Gross ganz jovial. »Da sind Sie endlich. Schön, dass Sie rechtzeitig zu Beginn der Feierlichkeiten nach Hause kommen konnten.«
»Was wird gefeiert, wenn ich fragen darf?«
Gross strahlte ihn an. »Sie arbeiten doch als privater Ermittler. Sagen
Sie
mir, was hier gefeiert wird.«
»Sie haben es geschafft. Sie haben den Musikkode geknackt.«
»Ich nicht«, sagte Gross ein wenig enttäuscht. »Nein, die Lorbeeren gehen an Ihren verehrten Herrn Schwiegerpapa.«
»Das ist ja wunderbar. Und was sagen die Noten?«
Gross schwang sein Sektglas, als sei es ein Taktstock. »Zu erst müssen Sie die Entdeckung nachvollziehen.«
»Also wirklich, Gross!«, fuhr Werthen hoch. »Wir haben wohl kaum die Zeit für solche Gesellschaftsspiele.«
»Karl«, unterbrach Berthe ihn. »Sei doch nicht so. Es ist wirklich ganz bezaubernd. Komm, Papa, erzähl ihm, wie du den Kode aufgelöst hast.«
Herr Meisner stimmte etwas halbherzig in die allgemeine Ausgelassenheit ein. Werthen spürte, dass er vor allem seine Tochter glücklich machen wollte.
»Es war wirklich keine große Leistung«, begann er.
»Unsinn«, sagte Gross. »Ich habe meine ganzen Dechiffrierkenntnisse erfolglos angewandt: die numerischen und die alphabetischen Kodierungen, einfach alles vom Verschlüsselungsverfahren Cäsars bis zum System Napoleons. Ich war kurz davor, mir die wenigen Haare, die ich noch habe, auszuraufen.Dann aber hat sich unser allwissender Kollege, Herr Meisner, ins Gefecht gestürzt.«
Diese Lobhymnen waren Herrn Meisner ganz offensichtlich peinlich, trotzdem lächelte er höflich.
»Bitte, Papa«, drängte Berthe.
»Nun, ich gebe zu, am Anfang schien es ein harter Brocken zu sein. Aber wie ich bereits sagte, habe ich mich schon früher mit Notenchiffrierungen beschäftigt. Seit den Zeiten Bachs haben Musiker so etwas immer wieder benutzt, um in ihren Kompositionen geheime Nachrichten zu verbergen. In der Regel benutzte man die Buchstabenbezeichnungen der Noten, um eine Botschaft zu buchstabieren. Die bestand zumeist aus den Namen von Freunden und Mitarbeitern.«
»Richtig«, sagte Werthen. »Man hat mir erzählt, dass auch Brahms solche Spiele schätzte.«
Herr Meisner warf ihm einen freundlichen Blick zu. »Ge nau . Bach nutze die Notenfolge F-A-B-E in seinen Kanons, um auf seinen Komponistenkollegen und Freund J. C. Faber zu verweisen. Mit den Jahren wurden die Komponisten immer erfinderischer hinsichtlich der Entwicklung ihres Alphabets.
Es
stand für den Buchstaben S, und
His
stand für ein H. Sie erwähnten Brahms, aber auch Schumann hatte seine Freude daran, die Namen seiner Freunde in sein Werk einzubauen. Mir wurde einmal erzählt, dass der irische Komponist John Field der Gastgeberin eines abendlichen Dinners Melodien widmete, die die Buchstabenfolgen B-E-E-F, wie Rindfleisch und C-A-B-B-A-G-E wie Kohl enthielten. Und erst im vergangenen Jahr hat der britische
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