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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Vergehen seitens der Direktion der Hofoper zurück. Sollten Sie weitere Fragen haben, finden Sie mich in meinem Büro.«
    Bevor Werthen überhaupt eine weitere Frage hätte stellen können, war er verschwunden.
    »Kein Vergehen?«, flüsterte Berthe angesichts des überhasteten Abgangs des Mannes. »Vielleicht ist Mahler einfach in einem Anfall von Wut vom Pult gefallen, weil ein Musiker eine Note nicht sauber getroffen hat.«
    Genau dasselbe hatte Werthen vorhin gedacht, und er lächelte seine Frau an. Dann wandte er sich Blauer und dem Bühnenarbeiter zu. Er wartete höflich auf das Ende ihres Gespräches und stellte sich dann vor. In seiner Hast hatte Leitner auf diese Selbstverständlichkeit zivilisierten Umgangs verzichtet.
    Blauer war ein untersetzter Mann mit einer Brille. Geduldig hörte er dem Bühnenarbeiter zu, einem kräftigen Kerl mit rotem Gesicht und einem beeindruckenden Backenbart. Niemand in Wien, ausgenommen der Kaiser, trug noch einen solchen Backenbart. Der Akzent des Hünen ließ vermuten, dass er ein Bewohner von Ottakring war, dem Arbeiterviertel, das für sein gutes Bier und seinen schwerverständlichen Dialekt bekannt war. Der Mann schien Werthen wie gemacht für diese harte Arbeit, die hauptsächlich darin bestand, Bühnenwände mit Seilen hochzuhieven.
    Das Gespräch war schließlich beendet, und Werthen und Berthe gingen auf die beiden Männer zu.
    »Herr Blauer?«, fragte Werthen.
    »Ja.«
    Werthen blieb wie angewurzelt stehen, denn es war der große Mann, der geantwortet hatte.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?« Blauer bedeutete dem kleineren Mann mit einem Nicken, dass er sich jetzt um seine Arbeit kümmern könne.
    Plötzlich war der Dialekt des Mannes verschwunden; er sprach in einem neutraleren Wiener Tonfall, der zwar immer noch einen gewissen melodischen Singsang aufwies, aber nicht mehr so hart und kehlig klang.
    »Herr Regierungsrat Leitner hielt es für sinnvoll, dass ich – wir – mit Ihnen sprechen.« Werthen stellte sich und Berthe kurz vor. Die Erwähnung seiner beruflichen Verbindung mit Mahler ließ den Mann erstarren.
    »Ja?«
    »Es geht um den unglücklichen Unfall mit dem Dirigentenpult. Ich würde gerne einmal einen Blick auf das Pult werfen.«
    Blauer ließ den Blick von Werthen zu Berthe wandern und wieder zurück zum Anwalt, faltete seine riesigen Arme über seiner breiten Brust und schüttelte bedächtig seinen Kopf.
    »Ich fürchte, das geht nicht«, antwortete er.
    »Sie verweigern mir eine Inspektion des Pultes?«, sagte Werthen.
    Erneut schüttelte er schroff den Kopf. »Nein, das natürlich nicht. Aber Sie müssen verstehen, es ist unmöglich, es zu inspizieren. Wir haben das Pult gestern entsorgt. In unserer Bühnenwerkstatt würden Sie jetzt nur noch Sägespäne davon finden. Wir bauen gerade ein neues Pult.«
    »Wie bedauerlich«, murmelte Werthen.
    »Wieso?«, entgegnete Blauer und deutete mit einer Handbewegung auf sein Ohr an, dass er Werthen wegen der vielen Geräusche um sie herum nicht verstanden habe.
    »Schon gut«, entgegnete Werthen. »Es wäre einfach nur vorteilhaft gewesen, das alte Podium auf Konstruktionsmängel hin zu untersuchen.«
    »Das haben wir selbstverständlich getan. Es war nichts zu sehen, außer ganz normalen Verschleißspuren. Ich vermute, dass Herr Mahler abgeglitten ist. Er ist auch während der Proben recht temperamentvoll.«
    Diese Bemerkung war gar nicht so weit von Berthes früherem sarkastischen Einwurf entfernt.
    »Wäre das dann alles?«, erkundigte sich Blauer und machte Anstalten zu gehen. »Ich habe heute Nachmittag noch viel zu erledigen.«
    Werthen ignorierte die Bemerkung des Mannes. »Es hat doch früher auch schon einmal einen Unfall gegeben.«
    Blauer seufzte. »Sie spielen auf Fräulein Kaspar an?«
    »Allerdings«, bestätigte Werthen. »Fräulein Kaspar und der eiserne Vorhang. Herr Mahler wäre auch damals schon fast in Mitleidenschaft gezogen worden, oder?«
    »Der jungen Sängerin ist es jedenfalls erheblich schlechter ergangen, würde ich sagen.« Blauer verfiel unwillkürlich in seinen Ottakringer Dialekt.
    »Gleichwohl sollten zwei solcher Unfälle doch einige Besorgnis erwecken.«
    »Der verantwortliche Bühnenarbeiter wurde sofort entlassen«, erklärte Blauer. »Ich habe dem Mann mehrfach erklärt, dass man ein totes Pferd nicht satteln darf, aber er wollte nicht hören.«
    »Damit meinen Sie vermutlich, dass man das freie Ende des Seils nicht festklammern sollte?«
    Blauer nickte beeindruckt.

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