Wiener Requiem
Wagner darin überflügeln würde, einen Geniekult um den verstorbenen Gatten zu entfachen.
»Wir können diese Angelegenheit gern später verfolgen, wenn Sie daran weiterhin interessiert sein sollten«, erwiderte er.
»Das werde ich ganz gewiss sein. Vielleicht könnten Sie ja Ihre Karte hinterlassen.«
Adele Strauß stand auf, um anzudeuten, dass nach ihrer Ansicht alles besprochen wäre.
»Bitte empfehlen Sie mich bei dem Prinzen.«
»Ja, selbstverständlich«, sagte Gross mit ernsthafter Stimme.
Sie warf dem stattlichen Kriminologen einen weiteren anerkennenden Blick zu.
»Eine Sache bereitet mir dennoch Kopfzerbrechen«, sagte sie, als sie den Herren ihre feine Hand zum Handkuss darbot.
»Und was könnte dies sein, meine Teuerste?«, fragte Gross, beugte sich über die Hand und ließ, ohne diese wirklich zu küssen, ein diskret schmatzendes Geräusch hören.
»Ich frage mich, wie es zu dieser Konfusion hat kommen können, und vermute, dass diese nur vom Büro des Prinzen selbst verursacht worden sein kann. Und ich muss auch zugeben, meine Herren, dass ich eigentlich dies für den Grund Ihres Erscheinens hielt. Es aufzuklären.«
»Was aufzuklären?«
»Nun, wie eine solche Einladung versehentlich gesandt werden konnte. Johann war doch bereits an der Schwelle des Todes, als der Ruf an die Hofburg erfolgte. Es war jedoch unmöglich,Johann daran zu hindern, sein Krankenlager zu verlassen und zur Hofburg zu eilen. Und dies nur, um dort zu erfahren, dass niemand ihn geladen hatte. Als er zurückkehrte, begab er sich in sein Bett, um es lebend nicht mehr zu verlassen.«
»Sie sagen also, dass Ihr Gatte eine Bitte um Erscheinen von der Hofburg erhielt, vielleicht gar vom Büro des Prinzen Montenuovo, als er bereits schwer erkrankt war?«, wiederholte Gross. »Aber als er dort ankam, stellte es sich heraus, dass niemand nach ihm gesandt hatte. Das Sendschreiben ihm also irrtümlich zugestellt worden war?«
Sie nickte.
»Liegt Ihnen dieses Schreiben noch vor?«
»Nein, ich fürchte, Johann hat es nach seiner Rückkehr empört verbrannt. Aber dieser Brief hat ihn zugrunde gerichtet, genauso als hätte jemand einen Revolver an seinen Kopf gehalten und den Abzug betätigt.«
Nachdem sie das Haus verlassen hatten, konnten Gross und Werthen nur mit dem Kopf schütteln.
»So könnte es also am Ende doch wahr sein«, wunderte sich Werthen. Der Tod von Strauß wäre tatsächlich ein Mord gewesen, wenn jemand einen Brief der Hofburg mit der ausgewiesenen Absicht gefälscht hätte, den schwerkranken Mann aus dem Bett zu holen. Man wusste schließlich, dass absolut niemand eine Einladung des Kaisers ablehnen würde.
»Genau«, sagte Gross und setzte sich in Richtung der großen Durchgangsstraße in Bewegung, wo sie leichter einen Fiaker anhalten konnten. »So habe ich es auch verstanden. Aber es gab noch einen weiteren interessanten Punkt im Gespräch, den wir bedenken sollten.«
Werthen überlegte kurz. »Sie meinen die Verbindung zur Hofoper? Aber es kann doch keiner planen, dass jemand eine Erkältung bekommt, die zum Tode führt.«
Gross schüttelte den Kopf. »Das meine ich auch nicht. Frau Strauß hat die letzten Worte ihres Mannes erwähnt: ›Es muss geschieden sein.‹ Könnte er nicht vielleicht etwas anders gelautet haben: ›Es muss die Geschiedene sein‹?«
Werthen blieb mitten auf dem Gehsteig stehen und starrte seinen Kollegen an.
»Großer Gott, Gross, ich denke, da könnten Sie wirklich auf etwas gestoßen sein. Er hätte dann also seine zweite Frau Lili gemeint. Sollte Strauß sie verdächtigt haben, ihm die gefälschte Einladung gesandt zu haben? Sie könnte durchaus zu einer solchen Niedertracht fähig sein, wenn ich bedenke, was nach der Scheidung von Strauß so kolportiert wurde. Sie macht ausschließlich ihn für ihre missliche Lage verantwortlich.«
»Dies, mein Freund, sollten wir auf jeden Fall in unsere Überlegungen mit einbeziehen.«
Berthe hatte unterdessen den Morgen im Gemeindezentrum von Ottakring verbracht. Es war ihr erster Besuch nach einer viel zu langen Abwesenheit gewesen, und nun half sie, Bücher und Schreibgeräte bis zum Herbst zu verstauen, denn das Zentrum würde für den Rest des Juni sowie während der Monate Juli und August geschlossen bleiben.
Sie war nicht allein in ihren Bemühungen, sondern auch Frau Emma Adler half an diesem Morgen mit. Dieses Zusammentreffen war keineswegs zufällig, denn Berthe hatte gewusst, dass Emma für diesen Tag im
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