Wiener Requiem
ja. Sie einfach außer Acht zu lassen würde mir als ein äußerst fahrlässiges Verhalten erscheinen.«
»Ich nehme also an«, sagte Berthe, »dass wir mit dem Tod von Johann Strauß beginnen sollten. Es handelt sich um den jüngsten Todesfall, und er ist somit am leichtesten zu untersuchen.«
»Genau mein Gedanke«, sagte Werthen und prostete ihr mit seiner Kaffeetasse zu.
Am nächsten Morgen machten sich Werthen und Gross daran, ihre Übereinkunft umzusetzen.
Für Werthen kam der Fall damit an seinen Ausgangspunkt zurück, denn für ihn hatte alles mit dem Begräbnis von Johann Strauß begonnen. War das wirklich erst vor wenigen Wochen gewesen? Es war in der Zwischenzeit so viel passiert, dass er glaubte, es seien Monate vergangen.
Das Palais, in dem die Witwe Strauß weiterhin lebte, lag in der Igelgasse 4, im 4. Bezirk. Werthen wusste, dass der Wiener Walzerkönig ein schwieriger Mann gewesen war. Seine Musik war zwar weit verbreitet, einige nannten sie schrecklich süßlich, andere hingegen entzückend schrecklich, er selbst war jedoch kein sonderlich glücklicher Mann gewesen. Seine erste Ehe mit einer ehemaligen Opernsängerin, Henriette Treffs-Chalupetzky, die Strauß seine Jetty nannte, hatte einen Wendepunkt in seinem Leben markiert. Die sieben Jahre ältere Jettywar zu dem Zeitpunkt, als Strauß sie kennenlernte, die Geliebte des Bankiers Baron Todesco und bereits Mutter von sieben unehelichen Kindern. Ihre mehr als ungewöhnliche Beziehung wurde 1862 durch eine Vermählung in der Domkirche St. Stephan legalisiert. Sie nahmen ihren Wohnsitz im zweiten Bezirk, Jetty brachte ihre Kinder bei den verschiedenen Vätern unter und widmete sich fortan der Karriere von Johann Strauß als ihrer wichtigsten Lebensaufgabe. Sie erwies sich als perfekte Geschäftsführerin, Sekretärin und Hausfrau, die den Liedmeister Strauß dazu drängte, Operetten zu schreiben. Schon kurz nach seiner Eheschließung begann er, seine Walzer nicht mehr allein als Tänze zu komponieren, sondern als Kernstücke großer symphonischer Werke. Seine erste bekannte Operette
Die Fledermaus
erschien 1874. Er komponierte mehr als dreizehn Operetten und außerdem die Oper
Ritter Pazman
.
Jetty starb 1878 an einem Schlaganfall, und Strauß, der nicht gut allein leben konnte, heiratete nur fünfzig Tage später nochmals und diesmal mit unheilvollen Folgen. Auch »Lili« Dittrich war Sängerin und zudem fünfundzwanzig Jahre jünger als Strauß. Sie hatte sich Strauß in der Hoffnung genähert, durch ihn ein Engagement am Theater an der Wien zu erlangen. Strauß jedoch hatte keine Schülerin-Lehrer-Beziehung beabsichtigt, sondern ihm stand der Sinn nach einer Tändelei mit der deutlich jüngeren Frau. Die beiden hatten ihre Affäre bereits lange vor Jettys Tod begonnen, und so wandte der frisch verwitwete Strauß sich ihr sofort zu. Sie heirateten in der Karlskirche und zogen in die Igelgasse; ein Haus, das nach Plänen gebaut war, die Jetty angeregt und beeinflusst hatte.
Es war keine glückliche Ehe. Lili führte ihre Affäre mit dem Direktor des Theaters an der Wien fort, die ein offenes Geheimnisin der Stadt war, das Strauß große Qualen bereitete. Nach vier turbulenten Ehejahren mit Strauß brannte sie schließlich mit dem Theaterdirektor durch, wurde allerdings von ihm wenig später verlassen. Man munkelte, sie würde nun einen Hutladen führen und fast verarmt in Berlin leben. Das hinderte sie nicht daran, jede Möglichkeit wahrzunehmen, ihren vormaligen Gatten in der Presse herabzuwürdigen.
Nicht lange nach der Auflösung dieser Ehe lernte Strauß die um einunddreißig Jahre jüngere Adele Deutsch-Strauß kennen, die Witwe eines Bankiers mit dem Namen Strauß. Es schien, als wären sie füreinander gemacht. Sie fanden Trost aneinander, und mit Adeles Unterstützung gewann Strauß seine künstlerische Leistungsfähigkeit zurück, schuf Meisterwerke wie zum Beispiel die Operette
Der Zigeunerbaron
. Eine Eheschließung in Wien war jedoch unmöglich, da die Katholische Kirche seine Scheidung nicht anerkannte und Geschiedenen ihren Segen für eine weitere Heirat verweigerte.
So lebten Strauß und Adele eine Zeitlang einfach zusammen, bis jedoch ihr Wunsch, das gemeinsames Leben beglaubigen zu lassen, übermächtig wurde. Aus diesem Grunde gab Strauß seine österreichische Staatsbürgerschaft auf und nahm vorübergehend seinen Wohnsitz in Sachsen-Coburg, um dort die Bürgerrechte zu erlangen, wo eine Scheidung als legal galt.
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