Wiener Requiem
Außerdem gab er seinen katholischen Glauben auf und wechselte zum Protestantismus, der geschiedenen Menschen eine weitere Heirat erlaubte. Man sollte anfügen, dass ein solcher Glaubenswechsel Strauß nicht zu schwergefallen sein dürfte, da er jüdischer Herkunft war und der katholische Glauben damals angenommen worden war, um der Familie den gesellschaftlichen Aufstieg im Kaiserreich zu ermöglichen. Im Jahre 1887wurden Strauß und Adele dann endlich getraut, und sie kehrten nach Wien zurück. Adele zeigte, dass sie die Geschäfte für Strauß ebenso gut zu führen wusste wie Jetty, und seine letzten Lebensjahre waren fruchtbar und zufrieden. Tatsächlich verwaltete Adele Strauß Geschäfte so gut, dass man ihr den Namen »Cosima im Dreivierteltakt« gab und so mit der streitbaren, besitzergreifenden Witwe Wagners verglich.
Als ihr Fiaker die lebhafte Wiener Hauptstraße verließ, um in die ruhige, elegante Igelgasse einzubiegen, musste Werthen einräumen, dass er dieser Begegnung gespannt entgegensah. Er wollte unbedingt herausfinden, warum Adele am Begräbnis ihres Mannes nicht teilgenommen hatte; ihr Fernbleiben hatte damals fast einen Skandal verursacht.
Als sie an der Igelgasse 4 vorfuhren, einem imposanten Gebäude mit einer gelben Schönbrunner Fassade und einer ganzen Reihe von Karyatiden, sprang Gross als Erster aus dem Wagen. Wie üblich überließ er so banale Dinge wie die Bezahlung des Fahrers Werthen. An diesem Tag aber war der Jurist darüber weniger verärgert als sonst.
Sie wurden erwartet und man führte sie in einen Salon von geradezu einschüchternder Größe. Der Marmorboden war mit den feinsten Teppichen belegt, reich bestickte Kissen zierten die beiden großen Kanapees, die nebeneinander vor dem soliden Kamin platziert waren, der von venezianisch-maurischem Stil zu sein schien. In den kristallenen Kronleuchtern brach sich das Licht der Sonnenstrahlen, die durch die nach Osten gewandten Fenster fielen; transparente farbige Dreiecke aus rotem, blauem und gelbem Licht tanzten an der Decke und an den Wänden. Es war ihnen möglich gewesen, den Privatsekretär von Frau Strauß am Morgen zu erreichen, und Werthenhatte ihm erläutert, dass er und sein Kollege gern über die Beziehung des verstorbenen Gatten zum Direktor der Hofoper, Gustav Mahler, sprechen wollten. Allein schon der Namen von Prinz Montenuovo, ihrem Schirmherrn bei dieser Aufgabe, hatte jede Gegenfrage des Sekretärs erübrigt. Jetzt also hatte man sie in diesen unverhohlen protzigen Salon geführt, und sie waren ähnlich beeindruckt, wie es auch Adele Strauß einmal gewesen sein musste.
»Meine Herren, bitte nehmen Sie Platz.« Die Stimme gehörte einer kleinen, etwas verhuscht wirkenden Frau, die plötzlich durch eine Seitentür in den Raum getreten war. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und bewegte sich mit einer gewissen Eleganz, wobei ihre seidenen Röcke wie Herbstlaub im Wind raschelten.
Sie wies auf ein Kanapee und nahm selbst ihnen gegenüber Platz.
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, uns so kurzfristig zu empfangen, Frau Strauß«, sagte Werthen. Die beiden Männer hatten sich darauf verständigt, dass er das Gespräch leiten würde.
»Nichts zu danken«, sagte sie. Sie saß scheu auf der Kante ihres Kanapees, ganz wie ein Vogel, der jederzeit bereit war davonzufliegen. »Ich muss jedoch gestehen, dass der Zweck Ihres Besuches mir etwas rätselhaft ist. Schani, ich meine Johann, hatte nur wenig Kontakt zu Mahler. Ich meine, mich zu erinnern, dass sie im vergangenen Jahr höfliche Briefe wechselten, als Mahler
Die Fledermaus
an der Hofoper dirigierte. Es gab auch eine kurze Begegnung, als Johann im Mai selbst die Ouvertüre der Operette an der Hofoper dirigierte. Aber ihre Beziehung war wohl alles andere als vertraut.«
»Herr Mahler ist ein großer Bewunderer der Arbeit IhresMannes«, sagte Werthen. »Und er hat das Verlangen, seiner Achtung auch gebührenden Ausdruck zu verleihen.« Dies war die Geschichte, auf die sie sich geeinigt hatten, obwohl Werthen nach wie vor der Ansicht war, dass dies kein überzeugendes Entree darstellte. Andererseits konnten sie nicht einfach zu Frau Strauß gehen und fragen, ob beim Tode ihres Mannes auch wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen war.
»Das ist recht erstaunlich«, erwiderte sie. Sie klang ein wenig gekränkt. »Nach all dem, was Mahler über das
Aschenbrödel
meines Johann gesagt hat.«
»Mir sind derlei kritische Bemerkungen gar nicht bekannt«,
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