Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
Vom Netzwerk:
Zentimeter lang und an der breitesten Stelle eineinhalb Zentimeter breit. Ziemlich groß für einen Edelstein.« Sie machte sich eine Notiz.
    Das Kreuz schien ihr poliert worden zu sein, mit Hilfe einer Lupe konnte sie Rückstände einer weißen Substanz feststellen. Es war sorgfältig mit einer Reinigungsmilch eigens für Edelmetalle eingerieben und danach auf Hochglanz gebracht worden. Laut Bericht der Spurensicherung waren ausschließlich Andrzej Zielińskis Fingerabdrücke darauf gefunden worden. Je mehr Rosa ins Detail ging, desto faszinierter war sie von der feinen Arbeit und dem großen Geschick des Künstlers, der dieses Kreuz geschaffen hatte. Aufgrund der klaren Formgebung und der Goldschmiedearbeit schätzte sie, dass es im 17. Jahrhundert hergestellt worden war, die Materialanalyse würde eine genauere zeitliche Einordnung ermöglichen.
    Die Filigranornamentik war mit Email ausgefüllt, das vom hellsten Wasserblau bis zum leuchtendsten Türkis reichte. Wie Flammen wuchsen kräftige Blütenstiele aus dem Fuß und umgaben Christus, die Gottesmutter und Johannes, den Evangelisten, die in Treibarbeit in der Mitte des Kreuzes auf einer Goldplatte dargestellt waren. Im oberen Teil war Gott, von einem herzförmigen Wolkenbett eingerahmt, abgebildet. Die zarten Blütenranken waren in Niello-Technik betont, einer Technik, bei der der Künstler die Gravuren mit einer Mischung aus Kupfer, Silber und Schwefel bedeckt. Danach wird das Kunstwerk poliert, und nur die Vertiefungen der Gravuren sind noch mit dem dunklen Gemisch ausgefüllt.
    Auf der Suche nach der Punzierung zog Rosa ein paar Stoffhandschuhe an und drehte das Kreuz in ihren Händen. Als sie mit bloßen Augen keinen Stempel oder das Zeichen eines Goldschmiedes finden konnte, hielt sie es hochkant unter eine stark vergrößernde Lupe, die an einem Arm am Tisch befestigt war, und stutzte verwundert. Die Goldplatte, auf der der gekreuzigte Christus, die Gottesmutter und der Evangelist Johannes dargestellt waren, saß locker. Die Lötnaht war auf der linken Seite aufgegangen, und als sie sie untersuchte, konnte sie Kratzspuren eines scharfen Gegenstandes erkennen. Vorsichtig schob sie eine Pinzette, deren Enden sie mit Watte umwickelt hatte, in den Spalt. Als sie die Goldplatte etwas anhob, brach ihr der Schweiß aus. Die Welt um sie herum verstummte, sie hörte die Geräusche vom Gang nicht mehr. Unter der Platte steckte ein zusammengefaltetes Stück Papier.
    Rosa überlegte, was sie machen sollte. Sie hatte nicht die nötige Ausrüstung, um das Papier zwischen den Platten herauszuziehen, dazu war der Spalt zu schmal. Vielleicht war es sehr altes Papier, dann bestand die Gefahr, dass es endgültig ruiniert würde. Auch wollte sie das Brustkreuz nicht beschädigen, indem sie die angebrachte Goldplatte mit der Darstellung einfach vollständig herunterlöste. Obwohl sie vor Neugier kaum an sich halten konnte, beschloss sie, zuerst Frau Dr. Reschreiter nach ihrer Meinung zu fragen; sie konnte die Entscheidung nicht allein treffen. Nachdem die Laborleiterin sich Rosas Entdeckung angesehen hatte, entschieden die beiden Frauen, die Platte von einem Goldschmied ablösen zu lassen. Des Weiteren sollte untersucht werden, mit welchem Werkzeug die Lötnaht gelöst worden war.
    Rosa rief Liebhart an und teilte ihm die wichtigsten Erkenntnisse ihrer Untersuchung mit: Das Brustkreuz war russischen Ursprungs, so wie die Ikone, deren Foto man bei Andrzej gefunden hatte. Es war hervorragend gearbeitet, kostbar und stammte wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert.
    »Gibt es noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Kunstgegenständen?« Liebhart klang gehetzt und schien auf der Straße unterwegs zu sein.
    »Der einzige Zusammenhang besteht darin, dass wir es mit sehr wertvollen liturgischen Gegenständen der Ostkirche zu tun haben«, meinte Rosa. »Das Beste kommt zum Schluss: Unter einer Abbildung von Christus, die in der Mitte des Brustkreuzes angebracht war, steckt ein Stück Papier.«
    »Was steht drauf?«
    Rosa berichtete ihm von Frau Dr. Reschreiters und ihrer Entscheidung, das Ablösen der Platte von einem Goldschmied durchführen zu lassen. Liebhart konnte seine Ungeduld nicht verbergen, sah aber ein, dass vorsichtiges Handeln angebracht war.
    Erst als Rosa sich in die Autokolonne auf der Nordbrücke einreihte, hatte sie sich etwas beruhigt. Der Fund des Papierstückes konnte die Ermittlungen einen großen Schritt voranbringen. Obwohl es bereits später

Weitere Kostenlose Bücher