Wiener Schweigen
Besprechungstisch aus. »Es sind eigenartige Dinge passiert, seit Andrzej auf der Bildfläche erschienen ist.«
Rosa ordnete die Zeitungsausschnitte chronologisch.
»Er taucht am 13. Mai in Klosterneuburg auf«, begann sie. »Am 27. Mai brennt das Haus der Zehetmair bis auf die Grundmauern ab.« Rosa zeigte auf einen Zeitungsausschnitt vom 28. Mai, der von dem tragischen Ereignis berichtete. »Das Zehetmair-Haus war hundertfünfzig Jahre alt, damals hat man die Häuser noch mit dicken Mauern gebaut, die brennen nicht einfach so. Noch dazu hat es in Wien und Umgebung fast den ganzen Mai über ununterbrochen geregnet, und zwar so stark, dass am 1. Juni eine Mure in den Kuchelauer Hafen abging, kurz nachdem Andrzej ermordet worden war.«
»Am 3. Juni findet eine Explosion im Pfarramt statt«, fügte Schurrauer nachdenklich hinzu.
Der Raum heizte sich durch die Sonne, die erbarmungslos durch die Fenster brannte, zunehmend auf. Rosa spürte, wie sie zu schwitzen begann, und öffnete ein Fenster. Sofort drang lauter Straßenlärm herein.
»So viel passiert in einem Ort wie dem kleinen Kahlenbergerdorf normalerweise in zehn Jahren nicht«, meinte sie und setzte sich wieder.
»Wir sollten jeder Spur nachgehen. Ich erkundige mich bei der Feuerwehr im Dorf, ob sie in den Resten des Hauses und im Pfarramt Spuren von Brandstiftung gefunden hat«, meinte Liebhart und trug die von Rosa vorgetragenen Daten und Ereignisse auf der Zeitlinie ein.
Frau Grand erschien mit einem Paket. »Sie wollten sofort Bescheid wissen, wenn die Postsendung da ist«, sagte sie zu Liebhart.
Nachdem sie gegangen war, begann er, das Paket aufzuschnüren, und erklärte dabei an Schurrauer gewandt: »Rosa und ich haben im Zimmer von Zieliński einen Benachrichtigungsschein der Post gefunden. Das ist für ihn hinterlegt worden.«
Nachdem er die Schnüre entfernt hatte, hob er vorsichtig den Deckel, und alle drei sahen auf ein Buch in polnischer Sprache, dessen Umschlag mit Blüten und Knospen verziert war. Liebhart hob vorsichtig den Buchdeckel mit seinem Kugelschreiber an. Neben Abbildungen von Pflanzen und Blumen standen kurze Texte in Polnisch.
»Er hat sich einen botanischen Atlas schicken lassen?«, staunte Rosa.
»Scheint so. Ich lass uns eine deutsche Version beschaffen, wenn es eine gibt, oder ich lasse es übersetzen. Nachdem wir jedoch noch immer auf die deutsche Version von Zielińskis Tagebuch warten, denke ich, dass das dauern wird«, antwortete Schurrauer.
Er untersuchte das Paket und fand als Absender einen Warschauer Buchversand.
»Ich fahre jetzt ins Labor und nehm mir das Brustkreuz vor.« Rosa griff nach ihrer Leinentasche.
»Und ich rede mit der Feuerwehr im Kahlenbergerdorf«, sagte Liebhart und wandte sich noch einmal an Schurrauer: »Erkundige du dich in der Zwischenzeit bitte, wie weit sie mit der Untersuchung der Skelette sind.« Schurrauer nahm das Paket unter den Arm und verschwand.
Das Labor der Kulturgutfahndung lag im Bundeskriminalamt am Josef-Holaubek-Platz im 9. Bezirk. Rosa ließ sich vom Portier einen Besucherausweis geben und ging dann über den großen Innenhof, in dem beschlagnahmte Autos standen, zur Eingangstür. Frau Dr. Reschreiter, die Leiterin des kriminaltechnischen Labors, wartete schon auf Rosa. Sie kannten einander vom letzten Fall. Rosa fand, dass ihr der Sommer gut stand. Sie war von Natur aus ein dunkler Typ, und ihr Teint hatte durch die Sonne die Farbe von Bronze angenommen. Das dichte Haar war zu einem dicken Rossschwanz gebunden.
Rosa wurde von ihr in einen Raum geführt, in dem auf einem Stahltisch, von Neonlampen beleuchtet, das Brustkreuz und ein vorläufiger Bericht der Spurensicherung lagen. An den Wänden ringsherum stapelten sich Kästen, in denen Einweghandschuhe, Wattestäbchen und sonstige Utensilien in Kartons lagen. Ein moderner Rechner mit Flachbildschirm und Scanner stand nahe dem Fenster, das durch eine Jalousie verdunkelt wurde, um die zu untersuchenden Kunstgegenstände vor Sonneneinstrahlung zu schützen. Der Anblick des kunstvoll gearbeiteten Brustkreuzes in diesem kühlen technischen Raum hatte etwas Unwirkliches.
Als die Laborleiterin gegangen war, zog Rosa einen Block aus ihrer Tasche und begann mit der Begutachtung. Das Erste, was ihr auffiel, war, dass sich am Fuße des Kreuzes eine leere, ovale Einfassung befand. Ursprünglich dürfte dort ein Edelstein befestigt gewesen sein. Rosa griff zu einem Lineal und vermaß die leere Umrandung.
»Circa vier
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